Kreis Borken.
„Ein-Euro-Jobs“ haben keinen guten Ruf – sie gelten vielfach als „Schikane“, „sinnlos“, einzig zu dem Zweck eingeführt, Arbeitslose zu „drangsalieren“ und „die Statistik zu beschönigen“. Die Beschäftigung im Rahmen der sogenannten Arbeitsgelegenheit soll jedoch Arbeitslosen helfen, sich auf die Eingliederung in den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Für die Tätigkeit wird ein sogenannter Mehraufwand in Höhe von einem Euro pro Stunde gezahlt, daher auch die Bezeichnung „Ein-Euro-Job“.
Das Jobcenter im Kreis Borken möchte heute einen Menschen vorstellen, bei dem die Arbeitsgelegenheit zu einer Erfolgsgeschichte wurde: Martin B. (Name geändert) hat 16 Monate lang eine Arbeitsgelegenheit, also einen Ein-Euro-Job, als Migrationshelfer ausgeübt. Heute ist Martin B. unbefristet als Gartenbauhelfer bei einem Gartenbaubetrieb in Vollzeit beschäftigt. Der Weg dorthin war alles andere als einfach.
Martin B. ist 36 Jahre alt, ledig und hat seit 2005 von SGB II-Leistungen gelebt, unterbrochen von lediglich drei Phasen erfolgloser beruflicher Tätigkeit. Er hat eine Förderschule besucht und sie mit einem Abgangszeugnis beendet. Er hat keine Berufsausbildung und keinen Führerschein. Um zu verstehen, weshalb jemand in einer Zeit, in der es viele freie Stellen gibt und Firmen nach Personal suchen, lange Jahre arbeitslos ist und es ihm nicht gelingt, eine Stelle zu bekommen und zu behalten, ist ein Blick auf die Hintergründe notwendig.
Martin B. ist funktionaler Analphabet, Rechnen gehört nicht zu seinen Stärken, sein räumliches Vorstellungs- und Orientierungsvermögen ist eingeschränkt, Leistungs- und Zeitdruck führen bei Martin B. zu Stress und Aussetzern. Er hat wie viele funktionale Analphabeten seine persönlichen Strategien entwickelt, um im Alltag zu recht zu kommen, ist jedoch dabei im Berufsleben zwangsläufig an Grenzen gestoßen.
So war Martin B. als ungelernter Hilfsarbeiter überwiegend auf Arbeitsstellen bei Personaldienstleistern angewiesen. Kurzfristige Änderungen des Einsatzortes – wie bei Zeitarbeitsunternehmen üblich – waren für ihn kaum zu bewältigen. Er war nur mit Strategien vertraut, die ihm mittel- bzw. langfristig die Erkundung neuer Orte ermöglichten. So lief er eine Strecke mehrfach ab, um sich einen neuen Weg zu merken. Flexibel einsetzbar war Martin B. dadurch für Arbeitgeber nicht.
Schriftliche Arbeitsanweisungen waren für ihn kaum zu entziffern, auf Zuruf etwas aufzuschreiben, Bestellungen oder kurze Notizen etwa, war nicht möglich. Gleiches gilt für das Lesen und Umsetzen von technischen Zeichnungen. Die Chancen von Martin B., eine Arbeitsstelle zu bekommen, gestalteten sich entsprechend schwierig und waren nicht erfolgreich.
Im Laufe einer langfristig angelegten, intensiven Betreuung und Beratung durch seine Fallmanagerin im Jobcenter konnte eine gemeinsame Perspektive entwickelt werden. Zunächst gingen sie das „Lesen und Schreiben lernen“ an, um die grundlegenden Voraussetzungen zu verbessern. Nachdem dies gelungen war und sich erste Erfolge einstellten, bekam Martin B. das Angebot „Arbeitsgelegenheit als Migrationshelfer in einer Asylbewerberunterkunft“. Ziel war es, ihm die Möglichkeit zu bieten, zu zeigen, was in ihm steckt, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erproben und auszubauen und wieder an sich selbst zu glauben. Die Einsatzzeiten konnten mit den weiteren Schulungen kombiniert werden – Martin B. wurde für diese Zeiten von der Arbeit freigestellt und konnte weiterhin an den Alphabetisierungsangeboten teilnehmen. Die Fallmanagerin hat während der gesamten Zeit eng mit der Einsatzstelle und der engagierten Kursleiterin der Volkshochschule zusammengearbeitet, regelmäßig Gespräche mit Martin B. geführt, Fortschritte festgestellt und war Ansprechpartnerin für alle Beteiligten.
Während des „Ein-Euro-Jobs“ lernte Martin B., selbständig unter Anleitung Stundennachweise zu führen, Spül- und Hygienepläne in den Unterkünften zu dokumentieren und zu kontrollieren und später – selbständig ohne Anleitung – Regale, Betten und Schränke aufzubauen und Werkzeug adäquat einzusetzen. Darüber hinaus hat er gelernt, sich in Hierarchien angemessen zu verhalten, Befugnisse zu kennen und Grenzen einzuhalten. Gegen Ende der Maßnahme hat er seinen Gabelstaplerführerschein gemacht. Schließlich stellte sich auch das für die Aufnahme einer regulären Beschäftigung notwendige gesunde Selbstbewusstsein ein.
Aufgrund guter Kontakte des Fallmanagements zu Unternehmen in der freien Wirtschaft konnte ein Arbeitgeber für Martin B. interessiert werden. Bei einem Praktikum konnte der sich von dessen Qualitäten von überzeugen und stellte ihn schließlich ein.
Zum Hintergrund: Arbeitsgelegenheiten gem. §16d SGB II
SGB II-Leistungsberechtigten kann zur Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für die Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, eine „Arbeitsgelegenheit“ angeboten werden. Die in einer „Arbeitsgelegenheit“ zu verrichtenden Arbeiten müssen zusätzlich und wettbewerbsneutral sein und im öffentlichen Interesse liegen. Anbieter von „Arbeitsgelegenheiten“ erhalten eine Pauschale für Verwaltungs- und Betreuungsaufwand. Beschäftigte erhalten eine Mehraufwandsentschädigung von einem Euro je geleisteter Beschäftigungsstunde. Im Kreis Borken stehen aktuell 241 Einsatzplätze in 67 verschiedenen Arbeitsfeldern zur Verfügung. Es handelt sich beispielsweise um Hilfstätigkeiten in der Hauswirtschaft, in Pflegeheimen, KITAs, Jugendhäusern, Verwaltung und Handwerk.
Pressekontakt: Kreis Borken, Ellen Bulten 02861 / 82-2111
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