Meldungsdatum: 12.12.2019
In der zweiten Ausstellung der Reihe „Gegenwärtig“, die vom 13. Dezember (Eröffnung: 18 Uhr) bis 15. November im Felix-Nussbaum-Haus des Museumsquartiers Osnabrück gezeigt wird, trifft der Konzeptkünstler Nasan Tur auf das Leben und Werk des Malers Felix Nussbaum. Machtstrukturen, Flucht, Exil und Fragen der Identität sind Themen, die beide Künstler zu ihrem Schaffen antreiben. Nasan Turs kritische Stimme zu Gesellschaft und Politik macht ihn zu einem politischen Künstler: „Da ich mich als politischen Menschen sehe, bin ich auch ein politischer Künstler. Meine Aufgabe als Künstler sehe ich jedoch nicht darin, Politik zu betreiben, sondern mich mit politischen Themen, die ja unser soziales Leben maßgeblich beeinflussen, ernsthaft und kritisch auseinanderzusetzen. Das beinhaltet auch, unbequeme und fordernde Arbeiten zu produzieren.“
Die Ausstellung im Felix-Nussbaum-Haus zeigt ältere Arbeiten – die in diesem Kontext eine neue Aktualität bekommen – und für die Ausstellung entwickelte neue Arbeiten als Reaktion und Kommentar auf Nussbaums Werk.
Innere Unruhe und Getriebensein vermittelt das Video „Run“ (2004). Die Kamera folgt einem Mann in Rückenansicht, der pausenlos, in höchst angespannter Eile, ohne erkennbaren Grund, durch enge Räumlichkeiten rennt. Ohne Anfang und Ende ist der Läufer in einer Endlosschleife gefangen – ein Zustand, der an einen Angsttraum erinnert, aus dem zu erwachen nicht möglich ist.
Im Zentrum der Ausstellung steht das Soundobjekt „Deutschland“ (2019): eine von Nasan Tur präparierten Drehorgel. Tur reagiert mit dieser Arbeit auf das von Nussbaum häufig ins Bild gesetzte Motiv der Drehorgel – ein Instrument, das auf die ständige Wiederholung einer vorgegebenen Tonfolge festgelegt ist, unfrei und monoton. Tur verwandelt einen alten Leierkasten in einen zeitgenössischen Kommentar auf unsere aktuelle Gesellschaft, indem er das alte Lochband durch eine neues ersetzt: Die Drehorgel spielt die Melodie der deutschen Nationalhymne, allerdings so sehr verlangsamt, dass sie verzerrt leiert und kaum erkennbar ist. Tur betrachtet als Künstler Begriffe wie „Nation“ oder „national“, die zwar in identitätsstiftenden Kulturprodukten wie der Nationalhymne ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln, doch gleichzeitig einen be- und ausgrenzenden Charakter besitzen.
Die Fotografie „Agony“ (2019), thematisiert die Bedingungen, die Lebewesen in Täter und Opfer, Jäger und Gejagte, Starke und Schwache kategorisieren. Als Nasan Tur während einer friedlichen Demonstration in der Türkei selbst zum Gejagten wurde, wuchs der Wunsch, Widerstand zu leisten. Es entstanden Skulpturen – metaphorische Bilder – in denen er die „Naturgesetze“ umkehrt: Der Fasan stürzt sich auf das Frettchen, das Rehkitz drückt den Fuchs zu Boden und das Schaf springt dem Wolf an die Kehle. Die Unterdrückten werden zu den Unterdrückern. „Was ist richtig, was falsch? Es gibt keine einfachen Erklärungen“ (Nasan Tur). Erst mit der in der Ausstellung präsentierten Fotografie wird das Ungleichgewicht aufgelöst. Eine ausschnitthafte und geänderte Perspektive lässt Fuchs und Lamm geradezu zärtlich einander zugewandt erscheinen.
Während Nasan Turs Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom entstand die Vi-deoarbeit „In My Pants“ (2015). Wie Felix Nussbaum 1932 war Tur 2014 eingeladen, in der Akademie zu arbeiten, die schon zu Nussbaums Zeiten als die „bedeutendste Einrichtung zur Spitzenförderung deutscher Künstlerinnen und Künstler“ (Wikipedia) gilt und dessen Stipendiaten als „Elite deutscher Künstler“ (Homepage Villa Massimo) bezeichnet werden.
„Die Arbeit In ‚My Pants‘ ist von besonderer Bedeutung für mich. Ich habe sie zu einer Zeit geschaffen, als ich mich selbst und meine Arbeit extrem hinterfragt habe. Dieses Selbstporträt ist Ausdruck meiner Unsicherheiten und Zweifel. […] Wenn ich dieses Video ansehe, ist es, als würde ich in einen Spiegel sehen, der mir mein eigenes Scheitern zeigt. Trotzdem spüre ich keine Scham, keine Angst. Das Video zeigt einen Moment der Ehrlichkeit und des Vertrauens in meine eigene Unvollkommenheit“ (Nasan Tur).
Nasan Tur platziert das Selbstbildnis „In My Pants“ in den Raum „Mauern“ der Felix-Nussbaum-Sammlung und stellt damit sein Bild der persönlichen Angst und Unsicherheit Nussbaums Bildern dialogisch zur Seite. Als Ausdruck der Empathie reagiert Tur auf Nussbaums abweisenden und bedrohlichen Mauern, die zu seiner Rom-Zeit, in der die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergriffen, als Bildmotiv besonders augenfällig wurden.
Die 2020 parallel zu der Ausstellung entstehenden „Osnabrücker Exilfenster“ entsprechen Turs Arbeitsweise: „Die eigentliche Entwicklung meiner Arbeit findet draußen statt.“ Draußen, in der Gesellschaft, begegnet er seinen Themen. Draußen, außerhalb der Museumsmauern, sieht er auch das Wirkungsfeld seiner Kunst. Für die konzeptuelle Arbeit wird Tur mit im Osnabrücker Exil lebenden Menschen den Austausch suchen. Die Kontaktaufnahme, die wiederum über Menschen unternommen wird, ist der Beginn eines Prozesses, in dem Beziehungen geknüpft werden. Der Kreis weitet sich, wenn die Gespräche aus dem privaten in den öffentlichen Raum verlagert werden oder am Ende Bilder, die „Exilfenster“, in die Stadt und als Mitnahmeplakat wiederum ihren Weg zurück in private Wohnungen finden. Als Kettenreaktion setzt dieses Kunstprojekt über die Ausstellung und das Museum hinaus Menschen in Bewegung, aktiviert Gedanken und regt zum Handeln Vieler an.
Biographie Nasan Tur
Studium an der HfG Offenbach und an der Städelschule, Frankfurt.
Pressekontakt: Heiko Mitlewski | Fachbereich Kultur | Tel. 0541 323-3217 | E-Mail: mitlewski@osnabrueck.de
v.li.: Kuratorin Mechthild Achelwilm, Direktor des Museumsquartiers Nils-Arne Kässens und Künstler Nasan Tur
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