Meldungsdatum: 06.02.2020

„Topografien des Terrors - Nationalsozialismus vor Ort“

Vortragsreihe 2020 im Museumsquartier Osnabrück

Die Stadt Osnabrück hat sich als Verhandlungsort des „Westfälischen Friedens“ der Friedenskultur verschrieben. Einen zentralen Beitrag dazu leistet das Museumsquartier Osnabrück. Für das international renommierte Museum mit dem Werk des 1944 in Auschwitz ermordeten Osnabrücker Malers Felix Nussbaum hat Daniel Libeskind eine besondere, sprechende Architektur geschaffen. Eine seiner „Lines of thought“ weist auf die Villa Schlikker, ehemals Sitz der Osnabrücker NSDAP. Als Teil des Museums ist die Villa heute ein authentischer Lernort, der den Wandel von der Diktatur zur Demokratie verkörpert. Mit diesem Gebäudeensemble besitzt Osnabrück ein Alleinstellungsmerkmal der besonderen Art.

Das Museumsquartier Osnabrück möchte mit seiner Vortragsreihe „Topografien des Terrors – Nationalsozialismus vor Ort“ am regionalen Beispiel zur intensiven und kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie und ihrer Zeit anregen.

2020 geben das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Nationalsozialismus vor 75 Jahren Anlass für verschiedene Veranstaltungen. Dabei bilden die Geschehnisse in den Niederlanden, die vor 80 Jahren durch das Deutsche Reich militärisch besetzt wurden, einen Themenschwerpunkt. Der Eintritt zu den Vorträgen ist frei.

Am Donnerstag, 20. Februar, um 19.30 Uhr referiert Dr. Petra van den Boomgaard, Niederlande, über „Hans Georg Calmeyer – aktuelle Forschungen“. Im Januar 1941, mehr als sechs Monate nach der deutschen Besetzung, waren in den Niederlanden jüdische Mitbürger*innen verpflichtet, sich offiziell registrieren zu lassen. Aus berechtigter Sorge schien es ratsam, ihre Angaben nicht zu fälschen, da diese überprüfbar waren. Dennoch beantragten wenig später über drei Prozent der niederländisch-jüdischen Bevölkerung eine Aufhebung ihrer vorherigen Registrierung als Jude oder Jüdin. Dadurch gelang es über 2.500 Menschen, sich der Rassegesetzgebung zu entziehen und dadurch der sicheren Deportation zu entgehen. In einer lebensbedrohlichen Situation versuchten diese Menschen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – wie auch über 1.200 weitere Personen, deren gleichgerichtete Bemühungen leider ohne Erfolg blieben. Die Referentin beschreibt, wie dies möglich war und welche Rolle der Osnabrücker Jurist Hans Georg Calmeyer (1903-1972) dabei spielte.

Am Donnerstag, 7. Mai, um 19.30 Uhr fragt Hans Castrup, Osnabrück, nach „NS-Erinnerungskultur als Kunst?!“ Die Erinnerung an die Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus ist in der Bundesrepublik Deutschland ein zentraler Bestandteil des gesellschaftspolitischen Diskurses. Neben einer historisch-analytischen Herangehensweise und der Begegnung mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bietet die Kunst einen weiteren Zugang, um das oft schier Unbegreifliche wie den Holocaust zu vergegenwärtigen, ohne die Würde der Opfer zu beschädigen. Kunst sucht zudem eigene Wege, um die vermeintliche Attraktivität von Ideologien, die Menschen verführt, aufzudecken und die Mechanismen von nationalsozialistischer wie nationalistischer Propaganda zu entlarven. Dazu stellt der Osnabrücker Künstler Hans Castrup eigene Video-/Audio-Arbeiten mit dem Thema „Dekonstruktion von Macht-Präsentation durch Ironie“ zur Diskussion.

Am Donnerstag, 2. Juli, um 19.30 Uhr ist Thema des Vortrags von Dieter Beck, Osnabrück: „Rechter Terror in Wort und Tat – Ziele, Netzwerke, Gegen-/Strategien“. Deutschlands Abwehr, sich Rechtsextremismus im eigenen Land einzugestehen und ihn wirkungsvoll zu bekämpfen, ist chronisch. Während Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Journalistinnen und Journalisten und zivilgesellschaftlich Engagierte seit Jahrzehnten couragiert vor dem rechten Terror warnen, wurde dieser von staatlicher Seite jahrzehntelang verharmlost. Symptomatisch für dieses Verdrängen war die späte Aufdeckung der brutalen Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU). Der große NSU-Prozess wurde 2018 öffentlichkeitswirksam abgeschlossen, ließ aber viele Fragen offen, deckte kaum das Unterstützernetzwerk hinter dem NSU auf und entlarvte staatliches Versagen. Auch konnte er die reche Gewalt nicht beenden, wie jüngst der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (Juni 2019) und der Anschlag auf die Synagoge in Halle (Oktober 2019) zeigen.

Wer sind die neonazistisch gepolten Urheber dieser rechtsextremistisch-terroristischen Gewaltszene, wer ihre Ideologen und Strategen, und wer setzt Hass und Menschenverachtung in die Tat um? Welchen Anteil an dieser Entwicklung haben aktueller Rechtspopulismus und Neue Rechte – national wie international? Wie gelingt es, endlich eine wirksame Brandschutzmauer gegen das rechte Lauffeuer zu errichten?

„Rattenfänger – Über Verführung und Verführbarkeit junger Menschen in NS und Neonazismus“: Auf Anfrage können Schulklassen oder Jugendgruppen eine Veranstaltung buchen, in der Dieter Beck nach einem Impulsreferat gemeinsam mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Schülerinnen und Schüler über Ursachen und Folgen ideologischer Verführung am Beispiel des Nationalsozialismus und des Neonazismus diskutiert. Um Anmeldung unter E-Mail heese@osnabrueck.de  oder Tel. 0541 / 323-4435 wird gebeten.

Am Donnerstag, 3. September, um 19.30 Uhr spricht Dr. Sebastian Musch, Osnabrück, über „Hermann Helfgott alias Zvi Asaria – Militärrabbiner im Osnabrücker Kriegsgefangenenlager Oflag VI c“.  Hermann Helfgott (1913-2002) war Militärrabbiner im Osnabrücker Kriegsgefangenenlager Oflag VI c. Dort saßen noch bis 1944 – während der Holocaust bereits in vollem Gange war – etwa 400 jüdische und 350 kommunistische Offiziere der serbischen Armee ein. Unter Duldung der Lagerkommandantur konnte Helfgott auf Grundlage der Genfer Konvention in einem dafür hergerichteten Gebetsraum regelmäßig jüdische Gottesdienste feiern und sogar Tote auf dem jüdischen Teil des Johannisfriedhofs bestatten. Helfgott überlebte den Holocaust. Nach dem Krieg benannte er sich in Zvi Asaria um und wurde niedersächsischer Landesrabbiner. Der Referent präsentiert jüngste Forschungen zu Helfgott alias Asaria.

Am Donnerstag, 5. November, um 19.30 Uhr stellt Menno Metselaar, Anne Frank Haus Amsterdam, „Das Anne Frank Haus in Amsterdam und seine pädagogische Ausrichtung“ vor. Kaum einem Schulkind ist Anne Frank nicht bekannt. Die Geschichte des jüdischen Mädchens aus Frankfurt/M. wurde durch die Rettung ihrer Tagebücher nach dem Holocaust öffentlich und bringt jungen Menschen bis heute das Leben verfolgter Menschen in der Nazizeit näher. Gemeinsam mit Annes Familie lebte auch die Osnabrücker Familie van Pels im Versteck in der Amsterdamer Prinsengracht 263, bevor alle von der Gestapo entdeckt und deportiert wurden, um schließlich in Konzentrationslagern umzukommen.

 Der Referent stellt verschiedene Konzepte und Projekte vor, mit denen im Amsterdamer Anne Frank Haus versucht wird, über die Biografie Anne Franks und die Geschehnisse in der Prinsengracht Lehren aus der Geschichte des Nationalsozialismus für die Gegenwart zu ziehen.

Pressekontakt: Claudia Drecksträter | Öffentlichkeitsarbeit Museumquartier Osnabrück | Lotter Str. 1 | 49078 Osnabrück | Telefon 0541 323-4581 | E-Mail: dreckstraeter@osnabrueck.de


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©  Sammlung Zvi Asaria, Gedenkstätte Bergen-Belsen  
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Hermann Helfgott alias Zvi Asaria (1913-2002) als Offizier der Israelischen Armee Fotografie, Israel, Anfang 1950er Jahre


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©  Anne Frank Haus Amsterdam, Fotosammlung
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Anne Frank (1929-1945) Fotografie, 1942


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©  Hans Castrup
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„Hitler“ - Ausschnitt aus einem Video von Hans Castrup, Osnabrück 2020


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©  Hans Calmeyer Initiative e.V.
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Hans Georg Calmeyer (1903-1972) Porträtfotografie, 1940