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Hanau, 02. April 2020
„Corona verhindert die kollektive Trauerarbeit“
OB Kaminsky sieht in Kontaktverboten eine besondere Herausforderung

Menschen, die mit Maske oder Mundschutz am Brüder Grimm Denkmal Blumen niederlegen oder einfach stehenbleiben und für einige Minuten innehalten. Szenen wie solche sind in diesen Tagen auf dem Hanauer Marktplatz immer wieder zu beobachten ist, scheinen wie ein Sinnbild für die Zeit. Die einen Schreckensereignisse noch nicht ansatzweise verarbeitet, stellt sich die Stadt der Brüder Grimm schon der nächsten existentiellen Krise. Wie überall im Land rückt auch hier vieles in den Hintergrund, weil sich alles um Infektionsketten und Vermeidungsstrategien, Verbote und Hilfsangebote dreht.

„Wir sind von einer Extremsituation direkt in die nächste gefallen. Auch wenn die Corona-Pandemie eine weltweite Krise ist, sind wir Teil davon, und die aktuellen Probleme überlagern alles andere in unserer Stadt.“ Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky sieht in dem derzeitigen Kontaktverbot, das schon in einem normalen Alltag erhebliche Einschränkungen bedeutet, für die trauernden Familienangehörigen und Freunde der Opfer des 19. Februar eine kaum nachzufühlende Herausforderung. „Die Familien der Getöteten werden davon ungleich härter getroffen, denn ihnen fehlt jetzt die Chance des kollektiven Trauerns und damit der Trost, der sich aus körperlicher Nähe und persönlicher Anteilnahme ergibt.“ Doch auch der gesamten Stadtgesellschaft, so der OB weiter, hätte er gewünscht, dass sie die Zeit gehabt hätte, zur Ruhe zu kommen und die schrecklichen Ereignisse miteinander zu verarbeiten.

In den späten Abendstunden des 19. Februars waren neun Menschen mit ausländischen Wurzeln Opfer eines rassistisch motivierten Anschlags geworden. Danach tötete der Täter seine Mutter und sich selbst. Mit Mahnwachen, Trauermärschen und diversen Kundgebungen gegen Rassismus reagierte die Hanauer Stadtgesellschaft in den Tagen danach unmittelbar auf die Tat. Auch an den öffentlichen Totengebeten und Beisetzungen der Mordopfer nahmen viele Menschen der Region teil. „Die Stadtgesellschaft hat eindrucksvoll ihre Solidarität und Anteilnahme dokumentiert", so der OB. Die Zusammenkünfte hätten die Botschaft „Die Opfer waren keine Fremden.“ mit Leben erfüllt.

Natürlich gebe es heute technische Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Telefon, Skype oder andere Kanäle erleichterten es, auch in der Zeit der Kontaktverbote in Verbindung zu bleiben. „Doch ein echter Ersatz für das persönliche Gespräch voller Anteilnahme ist das kaum.“

Doch die Corona-Krise erschwert nicht nur das gemeinsame Trauern und Trösten. „Wir werden die Opfer nicht vergessen“, hatte der OB versprochen und eine Gedenkstätte angekündigt. Diese soll in enger Abstimmung mit den Angehörigen entstehen. Sowohl was den Ort angeht als auch die Gestaltung, will die Stadt auf die Wünsche der Familien eingehen und hatte ursprünglich für April zu einem ersten Treffen eingeladen. „Leider mussten wir den Termin absagen, ohne einen neuen benennen zu können“, bedauert der Hanauer OB, dass auch dieser in der Trauerarbeit hilfreiche und wichtige Prozess vorläufig ins Stocken geraten ist. „Wir sind aber in ständigem Kontakt mit den Opferfamilien und zeigen ihnen, dass wir sie und ihr Leid trotz Corona nicht vergessen haben.“

Diese fortwährende Unterstützung war dieser Tage besonders nötig, als die Familie von Gökhan Gültekin, der bei dem rassistischen Anschlag getötet wurde, auch den schwer an Krebs erkrankten Vater Behcet Gültekin verlor. Mithilfe der Stadt gelang es trotz der strengen Restriktionen, eine schnelle Überführung in die Türkei zu ermöglichen. „Kein wirklicher Trost“, wie Hanaus OB weiß, vor allem, weil keiner aus der Familie den toten Vater begleiten durfte. Aber wenigstens habe man dessen Wunsch nach einer Beisetzung in seinem Heimatland erfüllen können.

In der Öffentlichkeit wurde die traurige Nachricht um den Tod des Vaters allerdings überlagert von der Meldung über einen angeblich vorhandenen Abschlussbericht des Bundeskriminalamtes zu dem Attentat, der eine Neueinschätzung des Tatmotivs geliefert haben soll. Für den Hanauer OB war diese Berichterstattung ein doppelter Schlag ins Gesicht der Angehörigen. „Es gab die klare Absprache, dass die Opferfamilien die Ersten sein würden, die über die Ermittlungsergebnisse informiert werden.“ Aber auch die vermeintliche Neueinordnung als nichtrechtsterroristische Tat sorgte für massiven Protest. „Ich bin dem Präsidenten des BKA, Holger Münch, sehr dankbar für die schnelle und unmissverständliche Klarstellung, dass die Ermittlungen noch andauern und das BKA an seiner Bewertung des Attentats als eine eindeutig rechtsextremistische Tat festhält.“ Kaminsky geht jetzt davon aus, dass sich auch am ursprünglich abgesprochenen Vorgehen, was die öffentliche Präsentation des Berichts angeht, nichts geändert hat.

Auch wenn die öffentliche kollektive Trauerarbeit durch die Corona-Krise unerwartet gestoppt wurde, laufen viele Projekte zur Unterstützung der Opferfamilien und Betroffenen uneingeschränkt weiter. Prominentestes Beispiel dafür ist das Engagement des in Hanau geborenen und aufgewachsenen Rappers Azzi Memo, der gemeinsam mit 18 Musikerkollegen den Benefiz-Song „Bist du wach?“ aufgenommen hat. Der Hanau-Song, der morgen erscheint, ist ein „zutiefst persönlich-emotionales Fanal gegen geistige Brandstifter in diesem Land“, so Mehmet Seyitoglu, wie der bürgerliche Name von Azzi Memo lautet. Für dieses Projekt hat er „die Creme de la Creme“ der Rapper-Szene gewinnen können, darunter Kool Savas, Manuellsen, Rola, Celo & Abdi oder Credibil. Alle mitwirkendenden Musiker, von denen viele selbst einen Migrationshintergrund haben, verzichten auf die Einnahmen aus dem Song zugunsten der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich für Hinterbliebene und Überlebende des Anschlags von Hanau einsetzt.

„Das Engagement von Azzi Memo ist ein wunderbares Beispiel für unsere Grundhaltung „Hanau steht zusammen“, freut sich Hanaus OB über die Aktion, die den Zusammenhalt stärkt und gleichzeitig eine direkte Unterstützung für die Opferfamilien darstellt. Die aktuelle Corona-Krise habe auch dieses Thema an den Rand der Wahrnehmung gedrängt, doch der Kampf gegen Rassismus und rechten Terror und der Einsatz für ein Zusammenleben in Vielfalt habe nicht an Bedeutung verloren. „Wir lassen uns von einem irren Rassisten oder von einem rassistischen Irren unsere Art des Zusammenlebens nicht zerstören.“ Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl in der Stadt trage und unterstütze die Menschen gerade auch in der aktuellen Bewältigung der Corona-Krise. Auch wenn es in diesen Tagen manchmal nicht so offensichtlich ist, so ist der Hanauer OB dennoch überzeugt: „Hanau hat seine guten Zeiten immer noch vor sich.“



Pressekontakt: Stadt Hanau, Güzin Langner, Telefon 06181/676811014, Email: presse-corona@hanau.de

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