Meldungsdatum: 06.11.2020

Johanna Diehl: „Taubes Geäst“

In der Reihe „Gegenwärtig. Zeitgenössische Künstler:innen begegnen Felix Nussbaum“ / Ausstellung im Felix-Nussbaum-Haus des Museumsquartiers Osnabrück

„Wer erinnert sich an Felix Nussbaum?“ titelte die Neue Osnabrücker Zeitung und rief 1971 dazu auf, Erzählungen, Begegnungen und Erinnerungen zu Felix Nussbaum zusammenzutragen, um den bis dato in der Geschichtsschreibung unsichtbaren Künstler ans Licht zu holen. Jahrelange Forschungen und engagiertes Zusammentragen von Informationen geben heute ein scheinbar klares Bild der Künstlerpersönlichkeit und seines Schaffens. Und doch bleibt vieles im Verborgenen.

Johanna Diehl (*1977) wendet in ihrer Ausstellung im Felix-Nussbaum-Haus des Museumsquartiers Osnabrück vom 13. Dezember 2020 (Eröffnung: 11 bis 16 Uhr; Anwesenheit der Künstlerin von 11 bis 13 Uhr sowie 14 bis 16 Uhr) bis 14. November 2021 ihren Blick auf eben solche „Falten der Geschichte“ (Walter Benjamin). Ihre Suche gilt der Präsenz vergangener, zum Teil ausgelöschter Geschichte im Heute, ebenso wie generationsübergreifenden Traumata. Die vielfach ausgezeichnete Fotokünstlerin spürt dem Verborgenen und Übersehenen im kulturellen Gedächtnis nach. Sie interessiert sich für Formen des Überschreibens von Erinnerung und für die Anwesenheit von Abwesendem. Anhand ihrer Fotografien von architektonischen Räumen und mithilfe privater und kollektiver Archive betrachtet Diehl die Identität eines heutigen Europas. 

Für die Ausstellungsreihe „Gegenwärtig“ im Felix-Nussbaum-Haus dringt Johanna Diehl tief in das Leben und Werk Felix Nussbaums ein. Die international renommierte Fotokünstlerin begibt sich auf Nussbaums Spuren während des Exils und der Flucht und untersucht, in welcher Gestalt sein vom Widerstand geprägtes Werk heute noch präsent ist. In seinen Gemälden interessiert sich Diehl dabei für die Dinge, die sich außerhalb des Bildzentrums, am Rand, gewissermaßen in den „Falten“ des Bildes befinden. In ihren für die Ausstellung entstandenen fotografischen und filmischen Arbeiten konzentriert sich die Künstlerin unter anderem auf die gestutzten Bäume aus Nussbaums Werk, die symbolisch mitunter für das frühzeitig Um-die-eigene-Existenz-gebracht-werden stehen. „Oft im Hintergrund, scheinen die gestutzten, verkürzten, eingegangenen und gekrümmten Hölzer von den ungeheuren Vorgängen einer Welt im Krieg und von existentieller Bedrohung zu erzählen“ (Johanna Diehl). Auch richtet Diehl ihren Blick auf die beschädigten Musikinstrumente in seinen Bildern, wie Lauten und Geigen, und beschäftigt sich mit der darin spürbaren Vorahnung des Verlusts des Lebens und des Zerfalls Europas. Darüber hinaus hat Johanna Diehl in Zusammenarbeit mit dem Künstler und Konzertschlagzeuger Raphael Sbrzesny zwei Filmarbeiten realisiert, in denen der renommierte Lauten-Virtuose Joachim Held Fragmente einer Partitur aus Nussbaums Malerei aufführt, und Raphael Sbrzesny eine raumgreifende Installation aus Bäumen und Zweigen zum Klingen bringt. In den eigens für die Ausstellung „Taubes Geäst“ entstandenen Arbeiten tritt die geheimnisvolle Symbolik Nussbaums auf diese Weise neu in den Vordergrund. Mit einer großen Sensibilität den Blick zu richten auf das, was nicht im Fokus steht, charakterisiert Diehls künstlerisches Vorgehen. Hier, in den Zwischenräumen, sucht sie das Eigentliche unter Bezugnahme auf Walter Benjamins Passagenwerk: „In den Falten der Geschichte befindet sich das Eigentliche, im Subjektiven, Alltäglichen, also in dem Nicht-in-den-offiziellen-Geschichtsbüchern-Verzeichneten“ (Johanna Diehl). 

Johanna Diehl, Fotokünstlerin

 Johanna Diehl (geb. 1977 in Hamburg) lebt und arbeitet in Berlin.

Sie studierte Fotografie und Bildende Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Timm Rautert, Boris Mikhailov und als Meisterschülerin bei Prof. Tina Bara sowie an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris bei Christian Boltanski und Jean-Marc Bustamante.

Ihre Arbeiten werden in nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt und befinden sich unter anderem in der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland, der Stiftung für Fotografie und Kunstwissenschaft Ann und Jürgen Wilde, der DZ Bank Kunstsammlung und in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne, München.

Johanna Diehl erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt vom Hauptstadtkulturfonds, das Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds, Bonn, der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, der Konrad-Adenauer-Stiftung (EHF) und der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo (Casa Baldi).

Seit März 2019 ist Diehl Professorin für Fotografie an der Fakultät Gestaltung der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

Ausstellungen (Auswahl): Haus am Waldsee, Berlin; Pinakothek der Moderne, München; Haus der Photographie, Hamburg; Bucerius Kunstforum, Hamburg; ZKM, Karlsruhe; Bundekunsthalle Bonn u.a. 

Preise und Stipendien (Auswahl): Kunstfonds Bonn, Casa Baldi / Deutsche Akademie Rom Villa Massimo, Akademie Schloss Solitude

Publikationen (Auswahl): In den Falten das Eigentliche, Verlag der Buchhandlung Walther König; Ukraine Series, Sieveking Verlag; Borgo, Romanità, Alleanza, Hatje Cantz Verlag (Deutscher Fotobuchpreis Silber)

Pressekontakt: Claudia Drecksträter | Öffentlichkeitsarbeit Museumquartier Osnabrück | Lotter Str. 1 | 49078 Osnabrück | Telefon 0541 323-4581 | E-Mail: dreckstraeter@osnabrueck.de


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Johanna Diehl: “Banyuls-sur-Mer I” (2020), C-Print