Meldungsdatum: 12.02.2021

"Medizinisch sinnvoll, gesellschaftlich schwierig"

Drei Fragen an Dr. Thorsten Kehe

Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten verlängern den Lockdown bis zum 7. März und koppeln weitere Lockerungen an das Erreichen einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in einer Woche. Ist das sinnvoll? Dr. Thorsten Kehe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Märkischen Kliniken, ist sich sicher: Medizinisch ist das sinnvoll, gesellschaftlich aber bereitet es uns Schwierigkeiten.
 
Warum ist es medizinisch sinnvoll?
 
Das Corona-Virus verändert sich. Es verbreiten sich ansteckendere und gefährlichere Varianten. Wenn wir die Ausbreitung der Mutanten nicht verhindern, kann die Zahl der Corona-Fälle in einem Monat um den Faktor zehn oder mehr steigen. Die drohende Explosion der Infektionszahlen können wir nur mit Kontaktvermeidung verhindern.
 
Warum ist die Lage gesellschaftlich schwierig?
 
Weil uns allen - in der Wirtschaft, in der Schule und im Privaten - die Perspektive fehlt. Wir können kurzfristig aber keine Besserung versprechen. Die Null-Covid-Strategie, mit lokal begrenzten Lockerungen je nach Inzidenz, setzt voraus, dass wir lokale Räume strikt voneinander trennen - mit medizinischen Grenzkontrollen zwischen Häuserblöcken, Stadtteilen und Städten, damit die Leute nicht - je nach lokaler Inzidenz - von Iserlohn nach Hagen zum Einkaufen fahren. In NRW pendeln Bürger täglich über 100 Kilometer quer durch Gebiete mit hoher und geringer Inzidenz zur Arbeit. Wie wollten wir diese Ströme kontrollieren und steuern? Das ist keine Perspektive.
 
Wie lautet Ihr Fazit?
 
Wir werden uns über kleine Lösungen vorantasten, die sich im Großen zu einer Strategie ergänzen. Wir haben zum Beispiel gelernt, dass in den Flaschen mit Impfstoff von Biontech/Pfizer mehr Einzeldosen abgefüllt sind als zunächst erwartet. Oder dass der Impfstoff einfacher transportiert werden kann als angenommen. Wir können nun in Praxen impfen. Auch über die schrittweise Öffnung von Schulen mit Wechselunterricht können wir wertvolle Erkenntnisse sammeln, die helfen, unsere Strategie weiter zu verbessern. Beklagen wir die föderal differenzierten Regelungen nicht, sondern nutzen wir sie, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen wir Schritt für Schritt, transparent und nachvollziehbar für alle eine Perspektive entwickeln.