Meldungsdatum: 07.05.2021

Update zur Covid-19-Schutzimpfung: Pandemiebekämpfung zwischen Bundesnotbremse und Lockerungen

Kurz kommentiert von Dr. Thorsten Kehe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Märkischen Kliniken GmbH

Im aktuellen Update zur Covid-19-Schutzimpfung wirft Dr. Thorsten Kehe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Märkischen Kliniken, wieder einen Blick auf die aktuelle Corona-Lage.

Einerseits haben Bund und Länder erst jüngst die Bundesnotbremse geschaffen, andererseits nehmen die Diskussionen um Lockerungen der Corona-Restriktionen zu. Ist das kein Widerspruch?

TK: Die Politik tritt einerseits auf die Notbremse, und andererseits diskutieren wir intensiver als zuvor über die Lockerung der Corona-Restriktionen. Das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch.

Einerseits zeigen die Restriktionen Wirkung, zu denen sich die Politik am 3. März 2021 entschlossen und eine Inzidenz von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tage als Ziel avisiert hatte. Seither sind acht Wochen vergangen. Die Bremsspur ist lang! Endlich, seit einer Woche, sinkt die Zahl der täglich gemeldeten Neuninfektionen im Vergleich zum entsprechenden Wert der Vorwoche. Das ist ein gutes Zeichen. Aber mit einer Zunahme der Zahl der Neuinfektionen im Sieben-Tage-Mittel von etwa 18.000 ist das Infektionsgeschehen noch immer rege. Wir befinden uns weiterhin mitten in der Dritten Welle. Diese wird für mehr Menschen zu einer längeren und intensiveren Behandlung auf den Intensivstationen führen, aber auch zu einer größeren Zahl an langanhaltenden Schädigungen durch Covid-19 als in der ersten und zweiten Welle. Covid-19 ist eine schlimme Erkrankung und bleibt es auf absehbare Zeit und ist in ihren Folgen eine noch nicht absehbare Erkrankung. Covid-19 trifft zunehmend jüngere Menschen schwer.

Auf den Intensivstationen ist und bleibt die Lage angespannt. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) e.V. meldet 4.955 Patienten, die in Deutschland intensivmedizinisch wegen Covid-19 behandelt werden. 2929 oder 59 Prozent von ihnen werden invasiv beatmet. In den beiden ersten Wellen ist die Hälfte dieser invasiv-beatmeten Patienten gestorben.

Andererseits zeigen die Impfungen offenbar Wirkung. Die meisten alten Menschen sind durch die Impfungen geschützt. Um den Jahreswechsel haben wir mit dem Impfen begonnen und die Zahl der Todesfälle sinkt seit Ende Januar. Mitte bis Ende März, also etwa drei Monate nach dem Beginn der Impfungen, hat die Kurve der Todeszahlen offenbar ein Tal erreicht. Das heißt: Auch das Impfen wirkt nicht gleich mit dem Setzen der Spritze, sondern erst nach Wochen und Monaten! Nun aber, im Verlauf der Dritten Welle, kommen die Impfungen in Gang.

In Deutschland haben bisher gut 25 Millionen Menschen eine erste und weitere sieben Millionen Menschen eine zweite Impfung erhalten. Letztere gelten als vollständig geimpft. Knapp 25 Prozent der Deutschen waren Ende April geimpft. Bis Ende Mai soll ein Drittel der Bevölkerung zum ersten Mal geimpft sein. Spätestens im Juni soll die Impfreihenfolge aufgehoben werden, und bis zum Ende des Sommers soll jedem (Erwachsenen) in Deutschland ein Impfangebot gemacht werden.

Es ist absehbar, dass immer mehr Menschen in den kommenden Monaten eine Immunität aufbauen, die nach heutiger Erkenntnis einen sehr zuverlässigen Schutz sowohl vor einer Erkrankung, als auch vor der Weitergabe einer hohen Viruslast gewähren wird.

Welche Risiken bleiben?

TK: Bei allen Erfolgen, die nun mit der Impfung immer stärker zu Tage treten, bleiben auch Risiken. Vieles spricht dafür, dass die Lieferung an Impfdosen weiter steigen wird, aber Probleme in Fertigungs- und Lieferprozessen sind niemals ausgeschlossen. Die Herstellung, Verteilung und Verabreichung der Dosen bleibt eine Herausforderung.

Mit dem Fortschreiten der Impfkampagne weltweit wird es immer wieder zu Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen von Impfstoffen kommen, - auch über solche, die sich erst später zeigen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber in der Bewertung von Chancen und Risiken müssen wir die Relation wahren. In Deutschland sind bisher etwa 84.000 Menschen an und mit Covid gestorben. Noch immer sind es täglich etwa 200 bis 300 Menschen, die daran sterben. Risiken bleiben auch für jene, die nicht geimpft werden, weil es noch keinen Impfstoff für sie gibt, wie die Kinder, Jugendliche und Schwangere.

Die Pandemie selbst bleibt ein Risiko. Das Virus wird weiterhin mutieren, und niemand kann voraussagen, wie ansteckend und gefährlich eine kommende Mutation sein, und ob sie den Impfschutz unterlaufen wird. Und ebenso, wie die gegenwärtige Pandemie nicht die erste ist, die die Menschheit trifft, wird sie nicht die letzte sein.

Was ist zu tun?

TK: Wir müssen durchhalten. Der Fortschritt in der Impfkampagne ist Anlass zu begründeter Hoffnung. Aber die Aussicht auf eine Impfung ist noch kein Impfschutz. Der Empfang der ersten Impfung löst bei der geimpften Person ein Gefühl der Erleichterung aus, aber der vollständige Impfschutz stellt sich erst Wochen nach der zweiten Impfung ein. Wenn wir jetzt die Bremsen zu früh lockern, werden wir das Ziel nicht erreichen. Im Gegenteil: Uns drohen verheerende Ausbrüche, wenn wir das Virus, seine Ausbreitung und sein Zerstörungspotential unterschätzen sollten. Sieben Millionen Menschen in diesem Land haben einen vollen Impfschutz. 75 Millionen haben noch keinen vollen Schutz. Das ist die Wirklichkeit.

Wir sollten weiterhin alles tun, um eine Infektion mit dem Virus abzuwehren.

Vernunft, Disziplin und Solidarität sind vor allem in der Phase des Übergangs hin zu mehr Freiheit gefordert. Die Freiheit ist ein Grundrecht, kein Privileg. Aber solange noch nicht genug Impfstoffe für den Schutz aller Menschen zur Verfügung stehen, setzt die Impfung des einen, den Verzicht des anderen sowohl auf die für ihn lebensrettende Impfung als auch auf seine Rückkehr in die Freiheit voraus. Vor allem Kindern, Jugendlichen und jungen Leuten verlangen wir seit mehr als einem Jahr viel an Rücksichtnahme ab, um die Älteren zu schützen. Auch aktuell, da die Älteren schon vollen Schutz genießen, während die Jüngeren die Restriktionen spüren und obendrein - mehr als zuvor - erkranken.

Über Dr. Thorsten Kehe:
Dr. Thorsten Kehe war viele Jahre als leitender Arzt und Medizinischer Direktor tätig, bevor er 2014 zum Medizinischen Geschäftsführer und dann zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der Märkische Kliniken GmbH mit Sitz in Lüdenscheid berufen wurde. Seit 2017 ist er zudem noch Vorsitzender der Märkische Gesundheitsholding GmbH & Co. KG. Im Impf-Update berichtet er über seine Erfahrungen und Überlegungen aus dem Klinikalltag mit dem Coronavirus.


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Dr. Thorsten Kehe

Dr. Thorsten Kehe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Märkischen Kliniken in Lüdnescheid