Meldungsdatum: 20.08.2021

Formen und Dimensionen der Resilienz unter deutscher Besatzung 1939 – 1945

Symposion des Museumsquartiers Osnabrück am 2. und 3. September

Laborarbeit ist oft ein Experiment. Die Arbeit im „Friedenslabor“, das ab 2023 in der Villa Schlikker des Museumsquartiers Osnabrück als geschichtlicher Lernort unser aller Demokratiefähigkeit auf die Probe stellt, festigt und vertieft, macht da keine Ausnahme. Wer hier forscht, spürt den eigenen Werten nach – und der eigenen Courage. Das ist herausfordernd, und dass dabei Konflikte zutage treten, ist nicht nur möglich, sondern Programm. 

Ausgangspunkt für die Arbeit im „Friedenslabor“ soll das Wirken von Hans Georg Calmeyer sein. Der Osnabrücker Rechtsanwalt war während des Zweiten Weltkriegs Teil der deutschen Besatzungskräfte in den Niederlanden und in Den Haag als Leiter des „Judenreferats“ bis Herbst 1944 zuständig für „rassische Zweifelsfälle“ der Gesamterfassung der jüdischen Bevölkerung des Landes. Ihm und seinen Mitarbeiter:innen gelang es, knapp 3.000 Jüd:innen vor der Deportation ins KZ und damit vor dem Tod zu bewahren. In hunderten Fällen half er jedoch nicht und schickte deshalb viele in den Tod. Einerseits war er also ein Rettender, 1992 wurde er von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem dafür posthum als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Andererseits war er ein Erfüllungsgehilfe des Holocaust.

Ab 2023 wird diese Ambivalenz in der zuvor baulich sanierten Villa Schlikker des Museumsquartiers im Rahmen einer neuen Dauerausstellung thematisiert. „Calmeyers Handeln lässt sich nicht eindeutig einordnen. Diese Schwierigkeit wird zum didaktischen Ausgangspunkt der neuen Ausstellung”, so Museumsdirektor Nils-Arne Kässens. Ein binationaler wissenschaftlicher Beirat unter Vorsitz von Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Universität Leipzig, unterstützt die Entwicklung von Ausstellung und Labor.

Um Calmeyers Wirken, das in der deutschen wie in der niederländischen Geschichtswissenschaft ebenso stark umstritten ist wie in der Osnabrücker Öffentlichkeit, angemessen einschätzen zu können, richtet das Museumsquartier Osnabrück am 2. und 3. September 2021 das Symposion „Formen und Dimensionen der Resilienz unter deutscher Besatzung 1939 – 1945“ aus.

„Mit dem Symposion versachlicht die Stadt Osnabrück die Diskussion um Calmeyer und bereichert die Forschung um neue Perspektiven auf sein Wirken. Die neue Ausstellung soll auf der Grundlage von aktuellen Forschungsergebnissen entwickelt werden und dafür ist das Symposion ein wichtiger Schritt”, sagt Erster Stadtrat Wolfgang Beckermann.

Calmeyers Handeln im größeren Kontext

Namhafte nationale und internationale Wissenschaftler:innen, von Prof. Dr. Geraldien von Frijtag Drabbe Künzel (Utrecht) (angefragt), und Prof. Dr. Martin Sabrow (Potsdam/Berlin), Johannes Winter (Frankfurt/Main), Dr. Matthias Middelberg (Osnabrück/Berlin), Dr. Anna Mara Droumpouki (Berlin), Dr. Christiane Goos (Göttingen), Dr. Ulrike Jureit (Hamburg), Nitza Shabtay-Melamed (Jerusalem) (angefragt) bis Dr. Bettina Stangneth (Hamburg) bestreiten das Programm.

Ausgehend von den Rahmenbedingungen der NS-Verwaltung in den besetzten Gebieten sollen am Beispiel Calmeyers und anderer Akteure exemplarisch Strategien sowie Möglichkeiten und Grenzen ihres Verwaltungshandelns im besetzten Europa zwischen 1939 und 1945 diskutiert werden.

Beiratsvorsitzender Alfons Kenkmann präzisiert: „Uns ist es wichtig, Calmeyers Wirken nicht isoliert zu betrachten, sondern es in einen größeren Kontext von Verwaltungshandeln zu stellen. Ich freue mich sehr über die Zusagen anerkannter Kolleg:innen, gemeinsam mit uns in einen wissenschaftlichen Austausch zu kommen”.

Das Symposion spannt sich in drei Sektionen, von historischen Detailuntersuchungen wie „Die Rolle niederländischer Zuarbeiter im Büro Calmeyer“ bis zu geschichtspolitischen und geschichtskulturellen Impulsen wie „Gedenkstättenarbeit und Erinnerungskultur zwischen Demokratie-Erziehung, Erinnerungszwang und Staatsraison“.

Auch die Öffentlichkeit kann teilnehmen

Im öffentlichen Teil des Symposions hält Prof. Dr. Martin Sabrow am 2. September den Einführungsvortrag „Belastungsbiografien“ im 20. Jahrhundert. Am 3. September bildet die Podiumsdiskussion „Prosoziales Handeln während des Zweiten Weltkriegs – Potenziale für eine Pädagogik der Gegenwart?” den Abschluss. Unter Moderation von Prof. Dr. Alfons Kenkmann diskutieren Deborah Hartmann, Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz, Berlin, Prof. Dr. Johannes Max von Ophuijsen, Amsterdam, Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld, Historiker an der Universität Stuttgart, und Lioba Meyer, ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Osnabrück, Gründerin der Osnabrücker Friedensinitiative (OFRI) und Unterstützerin des Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums.

Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats zur Neukonzeption der Villa Schlikker, Prof. Dr. Alfons Kenkmann, erwartet vom Symposion „wesentliche Anregungen für die Diskussionskultur im zukünftigen Friedenslabor.”

Aufgrund der Corona-Auflagen werden die öffentlichen Teile des Symposions live als Videokonferenz über MS Teams übertragen. Für eine Teilnahme ist eine Anmeldung unter E-Mail gollmann@osnabrueck.de erforderlich, dort gibt es auch den Link zum Online-Meeting. Zur Teilnahme benötigt werden PC/Laptop/Tablet oder Smartphone, eine stabile Internetverbindung, Headset oder Kopfhörer mit Mikrofon.

Die nichtöffentliche wissenschaftliche Tagung beschäftigt sich zunächst mit der Thematik des deutschen Besatzungsregimes in den Niederlanden als Aktionsraum Hans Georg Calmeyers. Hier geht es um das personelle Umfeld an niederländischen Unterstützer:innen, in dem Calmeyer handelte. Die zweite Sektion widmet sich den Möglichkeiten und Grenzen des Rettungshandelns im besetzten Europa (1939–1945), um exemplarisch Vergleichsfälle zur Konturierung des Calmeyerschen Handelns aufzuzeigen. In der dritten Sektion beschäftigt sich das Symposion mit Konturen und Konjunkturen der Erinnerungskultur und den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen nach 1945 in Westdeutschland.

Die wissenschaftlichen Beiträge werden in einer Dokumentation zusammengefasst und sind voraussichtlich Anfang 2022 im Museumsquartier erhältlich.

Nach Abschluss des Symposions tagt der wissenschaftliche Beirat, um weitere Empfehlungen für die Neuausrichtung und Benennung der Villa Schlikker zu geben. Die Ergebnisse der Beratungen dienen – auf Grundlage der neuen Erkenntnisse aus dem Symposion – als Basis für die weitere Konzeptentwicklung.

Pressekontakt: Claudia Drecksträter | Öffentlichkeitsarbeit Museumquartier Osnabrück | Lotter Str. 1 | 49078 Osnabrück | Telefon 0541 323-4581 | E-Mail: dreckstraeter@osnabrueck.de


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©  Hermann Pentermann
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