Meldungsdatum: 05.04.2022
(pen) „Es war ein Riesengeschenk“: Nach zig erfolglosen Bewerbungen erhielt der von Geburt an blinde Minas Petrus 2019 die Zusage für eine Ausbildung beim Ennepe-Ruhr-Kreis. Inzwischen ist er als Kreissekretär verbeamtet, kennt Wege wie Stolperfallen im Kreishaus – und freut sich jeden Tag aufs Neue über das, was er erreicht hat.
Geradeaus, weiter geradeaus und stopp: Petrus dreht sich nach rechts, loggt sich im Zeiterfassungsterminal für Mitarbeitende des Kreishauses ein. Dann geht er weiter, wendet sich vor den Aufzügen wieder nach rechts, fährt in die zweite Etage. Bei der Orientierung vom Haupteingang bis zu seinem Büro verlässt Petrus sich neben dem Stock vor allem auf seine Ohren. „Der Klang der Schritte verändert sich, wenn Pfosten, eine Wand oder Aufzüge neben mir auftauchen“, erklärt er. „Daher weiß ich bei Wegen, die ich gut kenne, immer genau, wo ich mich gerade befinde.“
Petrus ist für Ordnungswidrigkeitenverfahren bei der Pflegeversicherung zuständig, ein klassischer Bürojob mit Telefonaten, E-Mails, Postverkehr. Er arbeitet an einem normalen Laptop – nur, dass dieser außergewöhnlich viel spricht. Dahinter steckt JAWS, eine Software, die alle Inhalte des Bildschirms vorliest und sie gleichzeitig auf eine angeschlossene Braille-Zeile, also eine Tastatur mit Blindenschrift, überträgt. So kann Petrus mit seinen Fingern E-Mails, Formulare oder eingescannte Briefe lesen.
Routiniert erledigt der 25-Jährige seine Aufgaben, bespricht sich mit den Kollegen. Und dann, hin und wieder, hält er inne und kann es kaum fassen, dass er diesen Job tatsächlich hat. „Von der ersten Klasse bis zum Fachabitur habe ich Schulen für Sehbehinderte besucht“, erzählt er. Seine Ausbildung aber wollte er unbedingt in der „Sehenden-Welt“ machen. „Alternativ hätte ich mich in einer speziellen Einrichtung für Sehbehinderte bewerben müssen. Aber das ist eine Übungsfirma, nicht das echte Leben mit echten Kunden. Es bereitet einen schlechter auf die Berufswelt vor.“
Als seine Bewerbung für eine Ausbildung im Schwelmer Kreishaus einging, war das auch für die Kreisverwaltung Neuland. „Die erste Hürde, die wir nehmen mussten, war der Einstellungstest für Verwaltungs-Azubis, den das GEVA-Institut zur Verfügung stellt. Der war nicht barrierefrei“, erinnert sich der damalige Ausbildungsbeauftragte. Also traf er sich mit Petrus, las ihm die Fragen vor und erfasste seine Antworten. Den Test bestand Petrus mit Bravour, auch beim anschließenden Vorstellungsgespräch überzeugte er.
Die Personalabteilung sagte zu und ging in die Vorbereitungen. Ausbildungsbetreuerin Laura Quasigroch, der Beauftragte für Inklusion, die Schwerbehindertenvertretung, der Integrationsfachdienst und das für Petrus zuständige Jobcenter Wuppertal setzten sich mit Petrus zusammen und besprachen die wichtigsten Fragen: Wie kann er arbeiten? Welche Hilfsmittel benötigt er? Wo können sie gekauft werden? Außerdem begleiteten die Ausbildungsbeauftragten und die Jugend- und Auszubildendenvertretung Petrus zu einem Kennenlerntreffen mit dem Leiter des Studieninstituts, an dem er die Theorie lernen sollte.
Dann startete die Ausbildung mit einer Einführungswoche. „Und ich durfte zum ersten Mal die Sehenden-Welt betreten“, erzählt Petrus. Vieles sei für ihn zunächst ungewohnt gewesen. Zum Beispiel unterhielten sich die anderen Azubis über das Autofahren und den Führerschein. „An meiner Schule, unter lauter Sehbehinderten, war das nie ein Thema“, sagt Petrus. Teil der Kennenlernwoche war auch ein Ausflug zum Kegeln, das hatte er noch nie zuvor versucht. „Aber alle haben alles darangesetzt, auch mir den Weg zu ebnen.“
Und so ging es in seinen vier Ausbildungsabschnitten – Kreiskasse, Gesundheits-, Sozial- und Pflegeplanung, Wohnungswesen und Bauaufsicht – weiter. Überall teilten die Ausbildungsleiter seine Aufgaben so ein, dass die Arbeitsschritte barrierefrei waren, überall erhielt Petrus positives Feedback. Die mündliche Prüfung am Ende der Ausbildung meisterte er problemlos.
„In dieser Zeit hatte ich einige schlaflose Nächte“, erzählt Petrus. „Bis nach der Prüfung die Nachricht kam, dass ich bestanden habe und somit die Voraussetzung erfüllte, übernommen zu werden. Sonst hätte ich wieder von vorne anfangen müssen.“ Und es kam für ihn noch besser: Seinen neuen Arbeitsplatz in der Gesundheits-, Sozial- und Pflegeplanung kannte er bereits aus der Ausbildung, alle Kolleginnen und Kollegen, alle Stolperfallen in den Büros inklusive. „Hier fühle ich mich sehr gut aufgehoben. Alle sind offen und hilfsbereit. Anders als in meiner Freizeit hatte ich hier nie mit Vorurteilen zu kämpfen.“
Stichwort: Inklusionskonzept
Im Ennepe-Ruhr-Kreis leben 323.395 Menschen, 47.878 von ihnen gelten als schwerbehindert (Stand 2020). Was der Kreis unternimmt, um ihre Lebenssituation zu verbessert, ist im aktuellen Inklusionskonzept nachzulesen. Die 42-seitige Broschüre bietet eine Übersicht darüber, welche Erfolge es in den sieben Kategorien Bauen, Wohnen, Mobilität, Kommunikation, Sensibilisierung, Arbeit und Bildung bereits gibt und welche weiteren Schritte geplant sind. Das Inklusionskonzept steht auf der Internetseite der Kreisverwaltung unter www.en-kreis.de zum Herunterladen bereit.
Pressekontakt: Franziska Horsch
Auf den Fluren des Kreishauses orientiert sich Minas Petrus vor allem mit seinem Gehör, der Stock sorgt für Sicherheit. // UvK // Ennepe-Ruhr-Kreis
Mithilfe der Braille-Zeile und spezieller Software kann Minas Petrus alle Inhalte des Bildschirms lesen. // UvK // Ennepe-Ruhr-Kreis
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