Meldungsdatum: 01.07.2022

Wie kann Kassel klimaneutral werden? Klimaschutzrat legt erarbeitete Strategie vor

Wie kann Kassel klimaneutral werden? Der Klimaschutzrat hat dazu jetzt eine erarbeitete Strategie mit Handlungsempfehlungen vorgelegt und an Umweltdezernent Christof Nolda übergeben. Das Gesamtwerk zeigt Wege und Chancen auf, wie die Stadt bis zum Jahr 2030 etwa 98 % ihrer Emissionen senken könne und die Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas weitgehend beendet.

Der Leiter des Klimaschutzrats, Professor Dr. Martin Hein, erklärte: „Die Klimaschutzstrategie ist der erste Fahrplan überhaupt in Richtung klimaneutraler und damit lebenswerter Zukunft in der Stadt Kassel. Mein außerordentlicher Dank gilt den ehrenamtlichen Mitgliedern des Klimaschutzrats und der Themenwerkstätten sowie der Geschäftsstelle des Klimaschutzrats. Ihr großartiger Einsatz, ihre fachkundige Arbeit und das Ringen um Lösungsansätze, die gesamtgesellschaftlich funktionieren können, sprechen aus jeder Zeile der Strategie. Der Ball liegt nun bei Politik und Verwaltung, die Strategie zu diskutieren und weitere Schritte möglichst zügig umzusetzen. Als Klimaschutzrat werden wir diesen weiteren Weg so konstruktiv wie kritisch begleiten!“

 

Umweltdezernent Christof Nolda schloss sich diesen Worten an: „Ich danke Professor Hein stellvertretend für alle Mitwirkenden, die sich dieser größten Herausforderung unserer Generation angenommen haben. Mit dem Klimaschutzrat ist es gelungen, wie nie zuvor die Expertise der Stadtgesellschaft in einem Prozess zu bündeln. Diese Strategie sollte Politik und Verwaltung Verpflichtung sein, unser Handeln zu beschleunigen und teilweise neu auszurichten. Es liegt viel Arbeit vor uns – im Leitbild zeigt sich aber bereits, wie sehr sich der Einsatz lohnen kann!“

 

Inhalte der erarbeiteten Strategie

Die knapp 100-seitige Strategie zeichnet ein Bild einer möglichen nahen Zukunft: Kassel könnte zu einer noch lebenswerteren Stadt werden. Quartiere sind durchmischter und lebendiger, Stadtteilzentren wiederbelebt. Menschen flanieren, Kinder spielen wieder sicherer in verkehrsberuhigten Quartieren. Es gibt mehr Platz für Grünflächen, Cafés und Restaurants, für Begegnung und Erholung. Menschen können alle wichtigen Orte des Alltags zu Fuß oder mit dem Fahrrad in 15 Minuten erreichen. Straßen, Plätze und Parks sind aufgeräumter und sauberer: das Abfallaufkommen und das achtlose Entsorgen von Abfällen im öffentlichen Raum konnte deutlich reduziert werden. Pfand- und Mehrwegsysteme haben die alte Wegwerfmentalität abgelöst.

 

Im Weiteren definiert der Klimaschutzrat u.a. Klimaneutralität und Methoden zur Erfassung. Insgesamt sollen innerhalb von Kassel bis Ende 2030 nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als im Stadtgebiet gebunden werden können. Dafür müsse insbesondere die Energieversorgung von fossilen Energieträgern befreit werden. Sie solle auf 100% erneuerbare, möglichst regionale Energie umgestellt werden. Gleichzeitig solle der Energieverbrauch insgesamt stark gesenkt werden. In Kassel werde am meisten Energie für Wärme genutzt, gefolgt von Strom und Verkehr.

 

Solar- und Windenergie sollen massiv ausgebaut werden, neue Gebäude grundsätzlich mit Photovoltaik ausgestattet sein. 60% des Kasseler Heizwärmebedarfs solle 2030 über klimaneutrale Fernwärme erfolgen. Gleichzeitig solle der Energieverbrauch der Gebäude um 40% sinken. Angesichts der steigenden fossilen Energiepreise betont Umweltdezernent Nolda hier auch die sozialpolitische Bedeutung für entschlossenes Handeln. Der Strategie zufolge dürften Restemissionen 2030 vor allem noch durch den fossil betriebenen Autoverkehr verbleiben. Dieser Anteil solle aber minimiert werden, in dem Kassel eine Stadt der noch kürzeren Wege wird und ÖPNV, Radverkehr und Fußverkehr Vorrang bekomme.

 

Weitere Kapitel der Strategie widmen sich Maßnahmen in den Bereichen Industrie und Gewerbe, Artenvielfalt, Landwirtschaft und Ernährung sowie Konsum und Abfall. Der Klimaschutzrat empfiehlt zudem die zielgerichtete Kommunikation und Einbeziehung der Stadtbevölkerung in den Prozess – Veränderung könne nur im Zusammenspiel mit der Bevölkerung funktionieren.

 

Die Berechnung der möglichen Emissionseinsparung bis 2030 setze dabei eine Umsetzung aller Maßnahmen, entsprechende Steuerung und Finanzierung voraus. Dafür müsse die Geschwindigkeit der Umsetzung stark beschleunigt werden, so der Klimaschutzrat.

 

In die Strategie flossen Expertisen und Empfehlungen aus über zwei Jahren Arbeit von rund 140 Ehrenamtlichen aus Klimaschutzrat und Themenwerkstatt ein. Die Strategie wird nun dem Magistrat zur Kenntnisnahme vorgelegt. Einige Maßnahmen befinden sich bereits in Umsetzung, für andere sind weitere politische Beschlüsse nötig.

 

Die Klimaschutzstrategie des Klimaschutzrats wurde auf dessen Sitzung am 29. Juni 2022 einstimmig beschlossen. Sie kann hier eingesehen werden: https://www.kassel.de/umwelt-und-klimaschutz/klimaschutzrat-mit-themenwerkstaetten/massnahmenempfehlungen/Klimaschutzrat_Klimaschutzstrategie-Stadt-Kassel.pdf.

 

Hintergrund:

Die Stadt Kassel hat sich 2019 per Stadtverordnetenbeschluss zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden. Der Klimaschutzrat der Stadt Kassel wurde im März 2020 gegründet, um Magistrat und Stadtverwaltung auf dem Weg zur Klimaneutralität 2030 zu beraten. Er hat bis dato über 40 Empfehlungen verabschiedet. Dem Gremium gehören 35 Mitglieder an aus Wissenschaft und Forschung, Umwelt‐, Klima‐ und Naturschutz, Bauen und Wohnen, Wirtschaft, Gewerkschaften sowie Betriebsräten, Kultur und Bildung, Jugend, Wohlfahrt und Soziales sowie Religion.

 

Aussagen einiger Mitglieder des Klimaschutzrates

Alexander Basse, Scientists for Future Regionalgruppe Kassel:

„Jeder einzelnen Kommune kommt beim Klimaschutz eine Schlüsselrolle zu, denn dies sind die Orte, an denen die Menschen leben, an denen Unternehmen und Betriebe sich niedergelassen haben und an denen die Netze der Verkehrs- und Energieversorgung ausgestaltet werden. Mit den Empfehlungen des Klimaschutzrates für eine Klimaschutzstrategie der Stadt Kassel wird jetzt eine wirksame Grundlage dafür geschaffen, wie unsere Stadt sich ihrer Verantwortung stellen und sogar Vorbild werden kann. Die Klimaschutzstrategie ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität Kassels – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Jetzt ist die Politik am Zug – die S4F Kassel empfehlen, die Klimaschutzstrategie zur Maßgabe politischen Handelns in Kassel zu machen und bei allen politischen Beschlüssen zu berücksichtigen.“

 

Jenny Huschke, DGB Region Nordhessen:

„Zwei Jahre intensiver Arbeit haben sich gelohnt, denn nun liegt sie auf dem Tisch: unsere Empfehlung für eine Klimaschutzstrategie der Stadt Kassel. Das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, ist politisch klar bekannt. Einen ambitionierten, aber möglichen Weg dahin zeigt die Strategie auf. Wir fordern die Protagonistinnen und Protagonisten der Stadt in Politik und Verwaltung auf, sich dieser anzunehmen. Es gilt, den Weg entschlossen und gemeinsam anzutreten. Wir im Klimaschutzrat werden dies kritisch-konstruktiv und vor allem hartnäckig begleiten.“

 

Arvid Jasper, Klimagerechtigkeit Kassel:

„Wer will nicht die Klimakatastrophe mit immer tödlicheren Dürren, Überschwemmungen und Stürmen vermeiden. Doch wir stehen im Klimaschutz vor riesigen Herausforderungen. Im letzten Jahrzehnt haben die bisherigen Bemühungen die Kasseler Treibhausgas-Emissionen in Höhe von zuletzt jährlich 1,5 Millionen Tonnen kaum sinken lassen. Für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze bleibt uns in Kassel aber ein Budget von insgesamt nur noch 10,7 Millionen Tonnen CO2. Mit dieser Klimaschutzstrategie können wir nun anfangen umzusteuern. Daher sieht sie auch weitreichende Maßnahmen wie den Gasausstieg und 100% Erneuerbare Energien in der Fernwärme 2030, die energetische Sanierung vieler Quartiere, fünf neue Tramlinien und weniger tierische Lebensmittel vor. Insgesamt rund 40 Maßnahmenbündel liegen der Stadt nun zur Umsetzung vor. Jedes Jahr wird der Klimaschutzrat und die Expertinnen und Experten in den Themenwerkstätten prüfen und mit neuen Maßnahmen nachschärfen, wenn einzelne Bereiche ihren Reduktionspfad nicht erreichen. Denn die Ziele zu erreichen wird keineswegs einfach. Daher heißt es jetzt: mutig alle gemeinsam anpacken und endlich richtig loslegen mit dem Klimaschutz!“

 

Wiebke Kirchhof, BUND Kassel:

„Mit der Verabschiedung der Strategie wurde ein theoretisches Grundgerüst erstellt. Nun liegt es daran in allen künftigen politischen Entscheidungen zu verdeutlichen, dass diese Theorie auch in die Praxis überführt wird und damit der Beschluss der CO2-Neutralität auch ernst gemeint ist. Verpasste Jahre müssen nun mit deutlich höherem Tempo aufgeholt werden.“

 

Kerstin Lopau, Bündnis kassel kohlefrei:

"Mithilfe der nun vom Klimaschutzrat beschlossenen Klimaschutzstrategie wurde der Kasseler Kohleausstieg bis 2025 nach dem StaVo-Beschluss nun auch als Teil einer großen Energiewendestrategie für die Stadt festgeschrieben. Den 7.500 Unterzeichner des Bürgerbegehrens von kassel kohlefrei wird damit ihr Anliegen bestätigt. Besonders freut uns, dass darüber hinaus auch ein Gas-Ausstieg bis 2030 beschlossen wurde, sodass die Chancen auf ein klimaneutrales Kassel in 2030 deutlich steigen. Klimagerechtigkeit muss ab jetzt die Leitschnur aller stadtpolitischen Entscheidungen sein, damit wir unserer Verantwortung im globalen Norden gerecht werden."

 

Helga Weber, Bürger Energie Kassel & Söhre eG:

„Mit der Klimaschutzstrategie übergibt der Klimaschutzrat der Stadt ein anspruchsvolles Maßnahmenpaket, mit dem sie in der Lage ist, ernsthaft und glaubwürdig die selbstgesetzten Klimaziele zu erreichen. Dass der Rat nun bereit ist, über die vorgeschlagenen Empfehlungen hinaus den Prozess der Umsetzung zu begleiten, unterstreicht das große Engagement der Beteiligten, die gern und rein ehrenamtlich ihre Expertise zum Wohl der Menschen in dieser Stadt einbringen.“

 


Zu dieser Meldung können wir Ihnen folgendes Medium anbieten:

Übergabe der erarbeiteten Klimaschutzstrategie

©  Stadt Kassel; Foto: Schölzchen
Übergabe der erarbeiteten Klimaschutzstrategie

Prof. Dr. Martin Hein (im Bild rechts) übergibt die vom Klimaschutzrat erarbeitete Klimaschutzstrategie an Jörg Gerhold (Stellvertretender Leiter des Umwelt- und Gartenamtes), der Umweltdezernent Christof Nolda bei der Sitzung vertreten hat.