Meldungsdatum: 02.03.2023
„We have in our town also a Westend!“ – schrieb ein Bocholter im Jahre 1905 auf eine Ansichtskarte, die er vermutlich an eine Bekannte in der britischen Hauptstadt sandte. Er projizierte damit auf die Namensgleichheit mit dem Londoner Stadtteil „West End“ in der City of Westminster. Die Karte selbst gab das Häufigkeitsmotiv vom Westend mit einem Einblick in die Straße von Osten wieder, mit der Villa Liebreich und dem Standbild des Brückenheiligen Nepomuk an der Ecke zur Chaussee nach Dinxperlo.
Das „westliche Ende des Stadtbezirks“
Das nunmehr vorliegende Bild zeigt den eher unbekannten, nämlich den entgegengesetzten Blick in den Verkehrsweg von Westen in Richtung Stadt um 1904. Wäre der Turm der St.-Georg-Kirche und die Schleusenbrücke rechts nicht zu sehen, so näherte sich der Betrachter wohl ziemlich orientierungslos den Häusern der Vorstadt.
Der Begriff „Westend“ bezeichnet buchstäblich das westliche Ende des Bocholter Stadtbezirks, wo in der Anfangszeit nur ganz vereinzelt Gebäude zu finden waren. Diese Straße lag außerhalb des alten Weichbildes der Stadt, folglich bildete sie keine eigentliche Ortsstraße. Sie war in alten Zeiten Teil der bestehenden Poststraße Münster-Emmerich und gehörte als Landstraße dem Kreis Borken, der sie 1852 chauseemäßig mit einer Kronenbreite von acht Metern und beiderseitigen Gräben ausbaute.
Es handelte sich also um einen Verkehrsweg, der von einer Stadt zu einer anderen führte, nicht um einen, dem Verkehr innerhalb der Stadt Bocholt dienenden Weg. Er fungierte demnach als Kommunikationsweg und blieb es, bis er 1913 in das Eigentum der Provinz Westfalen überging. Als man 1911 mit der Kanalisation der Stadt Bocholt begann, nahm das Westend den Hauptsammelkanal auf.
Vom Textilstandort zum Wohnviertel
Am 11. März 1915 ermächtigte die Stadtverordnetenversammlung den Bürgermeister Wesemann, mit der Provinz Westfalen einen Vertrag abzuschließen, nach welchem die Stadt Bocholt an der Westendstraße Bürgersteige und Rinnen anlegen sollte. Die Befestigung der Fahrbahn mit Kleinpflaster durch die Provinz und die Anlage von Bordsteinen und planierten Fußwegen durch die Stadt Bocholt erfolgte 1917/18.
Zwischenzeitlich hatten sich am Westend seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere Textilbetriebe angesiedelt, darunter die Firmen von Velsen, Danner & Dorweiler, Tangerding, Liebreich & Weinholt und später auch die Triebwerke-Fabrik Flender. Der Zweite Weltkrieg änderte das Erscheinungsbild der Straße völlig. Heute gehört das Westend mit seinen Wohn- und Geschäftshäusern zu den großen Ausfallstraßen der Stadt.
Foto: Stadtarchiv Bocholt / Text: Wolfgang Tembrink, Stadtarchiv Bocholt
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