Meldungsdatum: 20.10.2023

„Sozialwirtschaft integriert“ – Die ersten Absolventinnen arbeiten als pädagogische Fachkräfte in Kitas

Überall herrscht Fachkräftemangel. Auch in Kassel. Das städtische Projekt „Sozialwirtschaft integriert“ wirkt dem entgegen, indem es Frauen mit Migrationshintergrund die Chance gibt, sich in sozialen Berufen ausbilden zu lassen. Bisher geschah dies meist im Bereich der Pflege. Seit 2019 entscheiden sich auch immer mehr Frauen für die Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft.

Seit Projektbeginn wurden schon 41 Frauen in diese Ausbildung vermittelt. Die ersten schließen nun erfolgreich ihre Ausbildung ab und helfen beim Fachkräftemangel in den Kitas. Eine von ihnen ist Nandi van Kallen, die jetzt in der städtischen Kita Forstbachweg als pädagogische Fachkraft arbeitet.

„Mit Fleiß, Durchhaltevermögen und ganz viel Mut haben sie trotz aller Hürden und unterschiedlicher Lebensumstände ihren Abschluss gemeistert. Dazu gratuliere ich ganz herzlich. Diese Frauen sind eine wahre Inspiration. Der herausragende Erfolg zeigt, dass wir mit dem ‚Projekt Sozialwirtschaft‘ integriert auf dem richtigen Weg sind Migrantinnen eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, die vermutlich ohne das Projekt so nicht möglich gewesen wäre“, freut sich Bürgermeisterin Ilona Friedrich, die Ideengeberin und Initiatorin des Ausbildungsprojektes.

Nandi van Kallen – pädagogische Fachkraft durch „Sozialwirtschaft integriert“
Nandi van Kallen ist in den Niederlanden geboren und hat ihre Wurzel in Surinam. Ursprünglich wollte die 3-fache Mutter soziale Arbeit studieren, was aus diversen Gründen nicht machbar war. Sie begleitete ihren Ehemann zu einer Beratung bei der Kommunalen Arbeitsförderung und erfuhr vom Projekt Sozialwirtschaft integriert. „Nach dem Erstgespräch hatte ich Zweifel, ob es das Richtige für mich ist, aber ich habe es als eine Chance gesehen um später in die soziale Arbeit einzusteigen. Für mich ist das Projekt eine Chance um gesehen zu werden. Als Frau habe ich sehr viele Rollen. Ich bin Tochter, Freundin, Ehefrau, Mutter und Schwester. Bei all den Rollen geht die eigene Identität verloren. Du die Ausbildung und den Beruf werde ich die Person, die ich sein will“, erklärt van Kallen. „Vor dem Projekt habe ich vieles probiert, aber die Türen schlossen sich immer wieder. Dabei spielte meine Hautfarbe oft eine Rolle. Ich merke, dass mir wenig zugetraut wurde, weil bereits eine Meinung besteht. Das Projekt hat dazu beigetragen, dass ich wieder sichtbar und ein Teil der Gesellschaft bin.“ Frau van Kallen hat ihre Prüfungen als Jahrgangsbeste mit einen Notendurschnitt von 1,0 abgeschlossen.
Für das Amt Kindertagesbetreuung Kassel sind die Absolventinnen eine echte Bereicherung und ein weiterer Baustein für die Bekämpfung des Fachkräftemangels. „Frau van Kallen hat durch die Anerkennung im Projekt ein wunderbares Selbstverständnis und einen emotionalen Rückhalt bekommen. All das gibt sie jetzt an die Kinder weiter. Sie und die anderen Absolventinnen sind Brückenbauerinnen in unseren Einrichtungen. Sie schaffen eine noch intensivere Verbindung zu Eltern mit Migrationshintergrund, bauen durch ihre eigenen Erfahrungen Hürden ab“, sagt Monika Stier, stellvertretende Amtsleitung Kindertagesbetreuung der Stadt Kassel. „Die Frauen mit Migrationshintergrund als pädagogische Fachkräfte sind Kulturmittlerinnen und respektierte Kolleginnen mit Fachwissen.“

Das Projekt
Seit 2018 erhalten in Kassel Frauen mit Migrationshintergrund die Chance in der Sozialwirtschaft als Fachkraft tätig zu werden. Inzwischen haben sich 306 Frauen aus 56 Ländern für das Projekt angemeldet. 160 von ihnen machen derzeit eine Ausbildung - etwa zur Pflegehelferin, pädagogischen Fachkraft oder Altenpflegerin.

Die größte Überraschung im Projekt sind für Projektleiterin Terhas Andezion die pädagogischen Fachkräfte. „Als ich 2019 als Projektleiterin einstieg, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass wir 41 Frauen in die Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft vermitteln und bereits vier Jahre später Abschlüsse folgen. Was viele nicht sehen, ist der Weg dahin: Lange Anerkennungsverfahren mit ungewissem Ausgang, Erwerb des C1 Sprachniveaus, welches etwa als Voraussetzung für die Universitätszulassung gilt. Zudem müssen die Frauen Berufserfahrung nachweisen und ein Vorpraktikum absolvieren, bevor sie für die Ausbildung zugelassen werden“, so Andezion. „Damit ist es aber nicht getan. Die Ausbildung hat einen akademischen Anspruch, an dem oft selbst Muttersprachler scheitern. Daher ist es unglaublich, dass Frauen, die zum Teil erst seit 2015 in Deutschland sind, in die Lage versetzt werden, diese Ausbildung zu meistern. Das geht nur mit einem starken Willen, Kraft und Überzeugung.“

Das Projekt unterstützt hierbei nicht nur mit einem wöchentlichen Coaching, sondern auch mit dem Angebot der Nachhilfe. Projektteilnehmerinnen können dies wöchentlich in Präsens oder online in Anspruch nehmen.
Die Ausbildung für Berufe in der Sozialwirtschaft wird individuell unterstützt. Welche Ausbildungen empfohlen und gefördert werden, orientiert sich an der Motivation, den Vorqualifikationen, der Eignung sowie der Lebenssituation der Teilnehmerinnen. Für Frauen, die noch nicht über erforderliche Schulabschlüsse zum Beginn einer Berufsausbildung verfügen, ist der Erwerb des Hauptschulabschlusses möglich.
Teil des Projektes ist der Erwerb des Hauptschulabschlusses. Die Teilnehmerinnen erlernen in einem 18-monatigen Vorbereitungskurs zur Hauptschulprüfung die Inhalte der prüfungsrelevanten Fächer Deutsch, Mathematik, Gesellschaftslehre und Englisch. Eine weitere Stärke des Projekts ist neben der Vermittlung der Unterrichtsinhalte ein integrativer Anteil über den die soziale Integration, die Steigerung der gesellschaftlichen Teilhabe, die Allgemeinbildung und das Lernen über gesunde Lebensführung gefördert wird.

Jede Projektteilnehmerin wird durch eine Coachin unterstützt. Dadurch kann in Kooperation ein individueller Ausbildungsplan erstellt, Schulabschlüsse nachgeholt und Sprachkurse belegt werden. Das Coaching steuert maßgeblich den Qualifizierungsprozess, die anschließende Arbeitsmarktintegration und die Stabilisierung. Darüber hinaus können alle relevanten Fragestellungen der Alltagsorganisation, wie zum Beispiel die Kinderbetreuung, Erziehungsfragen Beziehungskonflikte thematisiert und bei Bedarf an zuständige Beratungsstellen weitergeleitet werden.
„Der Weg ist für die Frauen wirklich nicht einfach. Aber wenn das Projekt etwas bewiesen hat, dann das mit der notwendigen Unterstützung fast alles möglich ist.“, sagt Friedrich. „Um den Fachkräftemangel Herr zu werden braucht es mehr Projekte, die nicht nur abschlussorientiert sind, sondern auch individuell und langfristig ausgerichtet sind.“

Sollte sich während der Auswahl, der Orientierung oder auch während der Qualifizierung herausstellen, dass Teilnehmerinnen sich für eine Qualifizierung außerhalb der Sozialwirtschaft entscheiden, so werden sie durch eine befristete Beratung etwa beim Einmünden in andere Arbeitsmarktprojekte unterstützt.

Die Kosten für den Lebensunterhalt der Teilnehmerinnen werden während der Aktivierung und während des gesamten Coachingprozesses durch die Weitergewährung von Bürgergeld beziehungsweise Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sichergestellt. Während der Altenpflegehilfeausbildung, Erzieherinnenausbildung und Ausbildung zur Pflegefachkraft erhalten die Frauen BAföG, Ausbildungsvergütung oder werden weiterhin über das Bürgergeld in Verbindung mit einem Bildungsgutschein gefördert.

Teilnahme weiterhin möglich
Nach wie vor können sich Frauen mit Migrationshintergrund für das Programm „Sozialwirtschaft integriert“ anmelden. Interessierte wenden sich an Ute Beyer, (Telefon: 787 5802, ute.beyer@kassel.de) von der Kommunalen Arbeitsförderung im Sozialamt der Stadt Kassel.

Hintergrund
„Sozialwirtschaft integriert“ ist ein maßgeschneidertes Programm der Stadt Kassel, dass Frauen mit Migrationshintergrund die Chance gibt, in der Sozialwirtschaft als Fachkraft tätig zu werden. Gefördert wird „Sozialwirtschaft integriert“ durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration.

Das Programm soll den unterschiedlichen Biographien, Vorbildungen und Sprachniveaus der Frauen und behördlichen Anforderungen gerecht werden. Jede Projektteilnehmerin wird durch eine Coachin unterstützt. Dadurch kann in Kooperation ein individueller Ausbildungsplan erstellt, Schulabschlüsse nachgeholt und Sprachkurse belegt werden. Ziel ist es am Ende die geplante berufliche Perspektive zu verwirklichen.

Das Projekt richtet sich sowohl an geflüchtete „Neumigrantinnen“ und EU-Bürgerinnen als auch an Frauen mit Migrationshintergrund der zweiten und dritten Generation im Alter von 18 bis 45 Jahren. Voraussetzung sind Deutschkenntnisse auf dem Level B1 und ein Wohnsitz in Kassel oder in Gemeinden, die direkt an die Stadt Kassel angrenzen.

Der Offene Kanal wird am Dienstag, 24. Oktober, ab 18 Uhr das Projekt in einer Gesprächsrunde und einem anschließenden Film genauer vorstellen.

Pressekontakt: Simone Scharnke


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Absolventinnen von "Sozialwirtschaft Integriert" arbeiten erstmals als pädagogische Fachkräfte in Städt. Kitas 1

©  Stadt Kassel/Bernd Schoelzchen
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"Sozialwirtschaft integriert" hilft gegen Fachkräftemangel. So hat Nandi van Kallen ihre Ausbildung abgeschlossen und arbeitet nun als pädagogische Fachkraft in der städtischen Kita Forstbachweg. v.l.n.r.: Monika Stier (Kindertagesbetreuung Kassel), Nandi van Kallen, Thomas Engel (stellv. Leitung Kita Forstbachweg), Bürgermeisterin Ilona Friedrich, Terhas Andezion (Projektleiterin)


Absolventinnen von "Sozialwirtschaft Integriert" arbeiten erstmals als pädagogische Fachkräfte in Städt. Kitas 2

©  Stadt Kassel/Bernd Schoelzchen
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