Meldungsdatum: 30.10.2023

Kommunen im Kreis Borken zeigen gemeinsam Überforderung bei Flüchtlingssituation an; umgehend deutliche Korrekturen erforderlich

Stadt benötigt dringend weitere Unterkünfte für Flüchtlinge

Der Zuzug von weiteren Flüchtlingen nach Ahaus hat in den letzten Wochen massiv zugenommen. Die Flüchtlinge kommen aus der Ukraine und zunehmend auch wieder aus Syrien, dem Irak, Iran und aus Afghanistan. Allein in den beiden Monaten September und Oktober sind insgesamt 124 Flüchtlinge nach Ahaus gekommen, die untergebracht und versorgt werden müssen, darunter immer mehr junge Männer.

Zurzeit verfügt die Stadt über 427 Plätze in fast 30 städtischen Gemeinschaftsunterkünften. Diese sind in Teilen auch angemietet. Weitere 138 Personen können in der seit Oktober 2022 eingerichteten Notunterkunft in der Sporthalle Vestert untergebracht werden. Von diesen insgesamt 565 Plätzen sind aktuell bereits 457 Plätze belegt. Sollten die Zuweisungen des Landes an die Stadt Ahaus den Umfang der letzten beiden Monate beibehalten, müsste die Stadt Ahaus bis zum Jahresende weitere bis zu 180 Flüchtlinge unterbringen und würde damit bereits 630 Plätze benötigen. Damit fehlten dann nahezu 80 Plätze. Ohne Veränderung könnte sich die Zahl der Flüchtlinge mit einer Aufnahmeverpflichtung in Ahaus bis Ende 2024 auf bis zu 1.000 Personen erhöhen, die dann fast ausnahmslos in städtischen Gemeinschaftsunterkünften eine Unterkunft benötigten.

Erschwerend hinzu kommt, dass nicht alle Plätze belegbar sind, weil die sehr unterschiedlichen Familiensituationen und verfügbaren Raumangebote eine Belegung von ca. 8 bis 10% der möglichen Plätze verhindern. Längst erforderliche Doppel- und Mehrfachbelegungen von Räumen in Gemeinschaftsunterkünften führen zunehmend zu Spannungen und Konflikten. Gleichzeitig bietet der private Wohnungsmarkt in Ahaus immer weniger Aufnahmemöglichkeiten für Flüchtlinge.

Im Rahmen der Verteilung der Flüchtlinge nach dem bundesweiten Verteilschlüssel müsste die Stadt Ahaus augenblicklich noch 77 Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren aufnehmen; bei den schutzberechtigten Personen mit einer Aufenthaltsgenehmigung sind es sogar noch 182 anerkannte Flüchtlinge. Somit müsste die Stadt Ahaus noch fast 250 Personen aufnehmen, ohne dass überhaupt ein einziger neuer Flüchtling zugewiesen würde. Nach weiterer Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nehmen die Flüchtlingszahlen bundesweit gerade weiter stark zu. Die Unterkünfte des Bundes und der Länder sind längst überfüllt und können keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Damit nimmt die ungebremste Zuweisung in die Kommunen weiter zu.

Die Stadt Ahaus sieht sich aufgrund der Entwicklung in den vergangenen Wochen an der Grenze der Machbarkeit. Bei weiter ungebremsten Zuweisungen ist daher von einer massiven Überforderung auszugehen. „Ungebrochen ist und bleibt der feste und solidarische Wille der Stadtverwaltung, der politischen Gremien, vieler ehrenamtlicher Bürger*innen und der beteiligten Verbände in der Flüchtlingsarbeit zur Hilfe und weiteren Unterstützung, wir sehen aber die Grenze des noch Möglichen erreicht und in Teilen bereits überschritten“, erklärt Beigeordneter Werner Leuker.

In der Flüchtlingsarbeit geht es zwar zu Beginn zunächst um die Aufnahme und Unterbringung, mindestens genauso wichtig ist aber die weitere Versorgung und die Integration. Auch hier sind längst Grenzen überschritten. Kitas und Schulen können die geflüchteten Kinder und Jugendlichen nicht mehr ausreichend in den Schulalltag integrieren. Hier fehlen räumliche und insbesondere personelle Kapazitäten. Bei den Sprach- und Integrationskursen gibt es mittlerweile lange Wartelisten, die wohl erst im Laufe der kommenden Jahre aufgelöst werden können. Die zunehmende Zuweisung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bereitet zunehmend Probleme bei der Unterbringung und Betreuung. Schließlich gelingt die Integration in Arbeit aus rechtlichen, aber auch weiteren Gründen, bis heute nur teilweise. Auch hier ist ein schnelles Umdenken und Umlenken beim Bund dringend erforderlich und auch geboten.

Die Beschäftigten in der Betreuung und in der Verwaltung sind schon länger massiv und systembedingt überlastet. Diese Entwicklung wird durch den Fachkräftemangel noch weiter verstärkt.

Die Bürgermeister*innen der 17 Kommunen im Kreis Borken und der Kreis selbst haben deshalb am vergangenen Freitag eine gemeinsame Erklärung an Bund und Land gerichtet. Sie fordern ein Ende der unbegrenzten Zuweisung von Flüchtlingen. Die Kapazitäten seien erschöpft und mündeten mittlerweile in ernsthafte Überforderungen an unterschiedlichsten Stellen.

Für die Stadt Ahaus bedeutet diese Entwicklung, dass weitere Unterbringungs- und Personalkapazitäten möglichst schnell geschaffen werden müssen. Beigeordneter Werner Leuker sieht hier gleich einen mehrfachen Bedarf: „Wir benötigen umgehend eine Unterkunft mit bis zu 50 Plätzen, um in den nächsten Wochen überhaupt handlungsfähig bleiben zu können. Im Rahmen des dezentralen Unterkunftskonzeptes sind darüber hinaus zeitnah weitere drei neue Unterkünfte mit je 50 bis 60 Plätzen erforderlich. Damit können wir allerdings gerade einmal einen wahrscheinlichen Bedarf bis zu den kommenden Sommerferien decken. Gleichzeitig muss umgehend gerade die soziale Arbeit im Integrationslotsenprojekt mit dem Caritasverband um eine weitere Vollzeitstelle ergänzt werden, um eine auch nur halbwegs ausreichende Betreuung der Flüchtlinge gewährleisten zu können.“ 

Der Ausschuss für Internationale Beziehungen, Gleichstellung und Integration hat sich diesen Anforderungen einstimmig angeschlossen und dem Rat zeitnah entsprechende Beschlüsse empfohlen.  Bereits in der Ratssitzung in dieser Woche sollen deshalb erste entsprechende Beschlüsse gefasst werden.

Die Stadt bittet in diesem Zusammenhang die Unternehmen in Ahaus in dieser schwierigen und herausfordernden Situation um Unterstützung und Nennung von nicht benötigen Hallenkapazitäten.

 

Gemeinsame Erklärung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Kreises Borken zur Flüchtlingssituation in Abstimmung mit dem Kreis Borken vom 27.10.2023

I. Kernaussagen

  1. Die Städte und Gemeinden im Kreis Borken sehen sich aufgrund der in den letzten Wochen sehr stark steigenden Anzahl an Zuweisungen an der Grenze der Machbarkeit. Bei weiteren Zuweisungen wird eine massive Überforderung eintreten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der vielen hier bereits aufgenommenen Flüchtlinge in den vergangenen Jahren.
  2. Aktuell versorgen wir 4.655 Personen allein aus der Ukraine. Über zweitausend Geflüchtete aus vielen Ländern der Welt kommen hinzu, die wir in Notunterkünften und angemieteten Liegenschaften versorgen, insgesamt sind das über 6.700 Personen im Kreis Borken. Hinzu kommen diejenigen Flüchtlinge, die privat untergekommen sind und versorgt werden. Allein seit dem 01.08.2023 sind den Kommunen im Kreis Borken bis heute weitere 1.246 Personen zugewiesen worden, viele weitere Personen sind angekündigt. Die Akzeptanz in der Bevölkerung sinkt deutlich. Wir Kommunen im Kreis Borken wollen helfen, sehen allerdings die Grenzen unserer Möglichkeiten überschritten. Ohne solidarische Unterstützung aus der Bürgerschaft und Priorisierung innerhalb der Verwaltungen hätten wir bereits in der Vergangenheit die Grenze erreicht.
  3. Es ist in Summe nicht zielführend, Menschen über einen längeren Zeitraum auch in Turnhallen und Gewerbehallen unterzubringen. Diese Übergangslösungen haben ihren zeitlichen Horizont bereits deutlich erreicht. So werden wir den Menschen nicht mehr gerecht.
  4. Neben der wachsenden Schwierigkeit Notunterkünfte zu generieren, ist insbesondere eine Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Schule und Kita nicht mehr möglich. Zum einen stehen nicht ausreichend räumliche und personelle Kapazitäten zur Verfügung. Zum anderen ist es nicht angemessen möglich, innerhalb eines Schulsystems derart vielen Schülerinnen und Schülern mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen in Bezug auf Sprache und Vorbildung gerecht zu werden. Diese Aufgabe lässt sich nicht mehr in vorhandenen kommunalen Strukturen und Standards lösen.
  5. Eine besondere Herausforderung ist die Unterbringung vieler junger alleinreisender Männer aus vielen Teilen der Welt und sehr unterschiedlichen Kulturen, die oft mit hohen Erwartungshaltungen gezielt nach Deutschland kommen
  6. Durch die aktuell notwendige sehr enge Belegung von Flüchtlingsunterkünften sind zwischenmenschliche und soziokulturelle Konflikte vorhanden und verstärken sich zunehmend.
  7. Die Unterbringung einer hohen Anzahl von geflüchteten Personen aus der Ukraine und anderen Herkunftsländern war in der Vergangenheit möglich. Nur ein Teil der Personen ist im Hilfebezug. Eine Integration in Arbeit ist erst in Teilen gelungen.
  8. Wenn sie sich im Hilfebezug befinden, ist eine Integration in Arbeit zunehmend schwierig, u.a., weil es aufgrund der vergleichsweise hohen Sozialleistungen zunehmend unattraktiv ist, durch Arbeitseinkommen unabhängig von staatlichen Sozialleistungen zu werden.
  9. Menschliche Schicksale erleben wir bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Es ist nicht mehr möglich, dieser wachsenden Personengruppe gerecht zu werden. Alle Kapazitäten sind erschöpft. Betreuungskapazitäten in räumlicher und personeller Hinsicht stehen nicht mehr zur Verfügung.
  10. Auch die Beschäftigten in der Betreuung und Verwaltung sind massiv und systematisch überlastet. Der Fachkräftemangel verstärkt den Effekt.

II. Forderungen an handelnde Personen in Politik

  1. Eine unbegrenzte Zuweisung von geflüchteten Personen in die Kommunen muss ein Ende haben. Dies gilt insbesondere für Wirtschaftsflüchtlinge. Es bedarf einer definierten Belastungsgrenze für die Kommunen.
  2. Es dürfen den Kommunen nur Personen mit Bleibeperspektive zugewiesen werden.
  3. Der Sozialstandard auf europäischer Ebene muss dringend angeglichen werden. Dazu gehört auch, Sachleistungen und Bezahlkarten einzuführen.
  4. Die Asylverfahren sind zu beschleunigen. Bei Ablehnung muss unmittelbar eine Rückführung erfolgen.
  5. Für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Kita und Schule müssen ggfls. und zumindest perspektivisch alternative Organisationsformen geschaffen werden.
  6. Für die wenigen einzelnen Personen mit unangemessenem Verhalten müssen unmittelbar wirkende Maßnahmen ermöglicht und umgesetzt werden.
  7. Die Integration in den Arbeitsmarkt muss vorrangig weiter forciert werden. Es bedarf äußerer Anreize, Verpflichtungen und auch verbindlicher Vereinbarungen, die im Bürgergeld nicht mehr vorgesehen sind. Beispielhaft genannt seien eine durchgehende Anwesenheit vor Ort, die Annahme von Tätigkeiten unterhalb des angenommenen Qualifikationsniveaus und auch die verpflichtende Teilnahme an Sprachkursen.
  8. Für die finanziellen Aufwendungen zur Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten erwarten die Kommunen einen fairen Ausgleich von Bund und Land auch für Vorhaltekosten.
  9. Derzeit haben wir in der Region einen starken Wohnungsbedarf auch ohne Zuwanderung. Dies wird absolut verschärft durch die Unterbringung von geflüchteten Personen. Daher ist zwingend ein Wohnungsbauprogramm aufzulegen, das den frei finanzierten wie den sozialen Wohnungsbau parallel anstößt. Dies setzt massive finanzielle Unterstützung von öffentlicher Seite voraus.
  10. Die Welt ist in Unruhe. Es bedarf in Deutschland umfassender Pufferkapazitäten für kommende Krisen.


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