Meldungsdatum: 28.10.2024
Wenn über das Leben von Tobias Westhoff ein Roman geschrieben würde, der in 100 Jahren in einem Antiquariat oder Archiv zufällig wieder auftaucht, würde der zusammenfassende Klappentext möglicherweise so lauten: In Rheda-Wiedenbrück geboren zog er aus, Geschichte zu studieren und Menschen zu helfen, ihre Identität zu finden. Über Marburg und Berlin, wo er während seiner Arbeit im dortigen Bundesarchiv dazu beitragen konnte, Ermittlungen in lang zurückliegenden Mordfällen zu ermöglichen, verschlug es ihn schließlich in die Soester Börde. Dort wurde er nicht nur Stadtarchivar, sondern trat auch dem Verein für Geschichte und Heimatpflege bei. Seine glücklichste Zeit aber verbrachte er als Jägerken von Soest.
Klingt irgendwie ein bisschen nach einer Anlehnung an Grimmelshausens Roman „Simplicius Simplicissimus“? Richtig – und ob das wohl Zufall ist? Wer weiß… Die Zeit schreibt viele Geschichten und manche Zusammenhänge verstehen wir oft erst rückblickend. Berührungspunkte zwischen der Person Tobias Westhoff und Grimmelshausens Romanfigur des Jägerkens von Soest gibt es auf jeden Fall überraschend viele.
Als Bücherfreund, Historiker und großer Soest-Fan hat er den Roman aus dem Dreißigjährigen Krieg natürlich schon gelesen. Und von Berufs wegen hat der Soester Stadtarchivar zur Lieblings-Roman- und Symbolfigur der Soester schon viel recherchiert und erzählt. Dass er allerdings im Jahr des 1.400jährigen Stadtjubiläums selbst ins Wams des Jägerkens schlüpfen würde, damit hat er zunächst nicht gerechnet.
„Ich habe Glück gehabt, dass es mich nach meinem Studium ausgerechnet nach Soest verschlagen hat, weil hier ein Archivar gesucht wurde. Für Historiker ist Soest quasi ein Paradies, denn die Stadt ist nicht nur wunderschön und hat eine extrem spannende Vergangenheit, sondern auch der sehr umfangreiche mittelalterliche Archiv-Bestand ist außergewöhnlich und sucht in Westfalen seinesgleichen“, erklärt der frisch gebackene Repräsentant selbst die Anfänge der langen Geschichte, wie es denn dazu kam.
Dass im Jahr des 1.400jährigen Stadtjubiläums ausgerechnet ein Repräsentant aus den Reihen des Vereins für Geschichte und Heimatpflege Soest e. V. ausgewählt wurde, ist allerdings kein Zufall. Der Verein steht nämlich in einem bedeutsamen Zusammenhang mit dem in diesem Jahr gefeierten Jubiläum. Und wie dieser Zusammenhang aussieht, kann Tobias Westhoff natürlich am besten selbst erklären: „Im Jahr 1924 organisierten die Soester Bürgerschützen unterstützt vom Soester Geschichtsverein und dem Verein für Heimatpflege, die damals noch getrennt agierten, nachweislich belegbar das 1300. Soester Stadtjubiläum. Auf dieses Ereignis konnte man sich in der Zeitrechnung nun zurückbeziehen und wir feiern jetzt - einhundert Jahre später - folglich 1.400 Jahre Soest. Da lag es nahe, als Amtsträger für dieses Jahr jemanden aus den Reihen der damals ausrichtenden Vereine auszuwählen. Amtsträger, die das Soester Schützenwesen repräsentierten, gab es in der Geschichte der Soester Symbolfigur schon zweimal. Also fiel die Wahl auf jemanden aus dem Verein für Geschichte und Heimatpflege und damit schließlich auf mich“.
Dass zum vollen Ornat des Jägerkens seit geraumer Zeit eine Kette gehört, die aus privaten Beständen für diesen Zweck gespendet wurde und an der die Ausmaschier-Medaille hängt, die die Bürgerschützen im Jahr des 1300. Stadtjubiläum aufgelegt haben, fällt dann vielleicht eher wieder in die Kategorie „schöner Zufall“.
Die Kette mit der Medaille, auf dessen einer Seite das historische Jakobitor und auf der anderen Seite der Simplicissimus zu sehen ist, gehört für den Historiker zu den Lieblings-Teilen des Ornats der Soester Symbolfigur. Darüber, dass die Landsknechts-Montur des Jägerkens ansonsten nicht ganz authentisch ist, sieht er in diesem Fall gerne mal hinweg. „Erstens handelt es sich ja hier um eine Werbe-Figur und die muss ja in erster Linie auffallen und Sympathien wecken. Und zweitens bin ich in diesem speziellen Fall ganz dankbar für ein bisschen modernen Tragekomfort“, schmunzelt der Dreißigjährige. „Darüber hinaus ist es natürlich eine absolute Ehre, Soest als Repräsentationsfigur vertreten zu dürfen und den Menschen damit auch die Arbeit des Soester Geschichtsvereins näherbringen zu können. Als Jägerken kann man sich ja nicht bewerben, sondern wird ausgewählt. Wenn die Wahl dann auf die eigene Person fällt, macht das schon unheimlich stolz“, so Westhoff weiter.
Seine Amtszeit möchte er gerne auch dazu nutzen, mit einigen Vorurteilen gegenüber der Arbeit von Archivaren und Historikern aufzuräumen. „Weder im Stadtarchiv noch beim Verein für Geschichte und Heimatpflege sitze ich im Keller und staple staubige Akten von rechts nach links. Geschichte ist nicht nur Vergangenheit, sondern kann erstaunlich lebendig sein. Jeder einzelne von uns schreibt jeden Tag Geschichte und jeder hat seine ganz eigenen Geschichten zu erzählen. Das merke ich immer wieder vor allem in der direkten Zusammenarbeit mit Menschen, die mir besonders viel Spaß macht. Wir bekommen oft Anfragen von Privatpersonen, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind und uns bitten, ihnen bei der Ahnenforschung behilflich zu sein. Wenn ich mich da auf Spurensuche begeben und jemanden bei diesem Prozess unterstützen kann, finde ich das wahnsinnig schön. Es ist für uns Menschen unheimlich wichtig zu wissen, wo wir herkommen und wo unsere Wurzeln liegen. Und um das deutlich und erlebbar zu machen, bieten wir beim Verein für Geschichte und Heimatpflege z. B. Wochenendfahrten an, organisieren Vorträge und Veranstaltungen und bemühen uns um die Herausgabe und manchmal Mitfinanzierung von Literatur-Veröffentlichungen mit Heimatbezug. Kurz zusammengefasst sind wir also Imageförderer, Veranstaltungs-Organisatoren, Forschergemeinschaft und Projekt-Unterstützer“, erläutert Westhoff.
Eine der wichtigsten, liebsten und mit Leidenschaft gepflegten Traditionen der Soester ist unumstritten das Feiern der Allerheiligenkirmes, die sich ab dem 6. November urkundlich bewiesen zum (mindestens) 686. Mal jährt. Dann übernimmt Tobias Westhoff das Amt während der Eröffnungsveranstaltung um 14.00 Uhr am Fahrgeschäft Look 360° ganz offiziell von seinem Vorgänger Moritz Eckhoff. Mit dem „ruhigen Leben“, das zu führen er als einen seiner größten privaten Wünsche angibt, ist es dann sicher für fünf Tage erstmal vorbei. Aber auch das wird Tobias Westhoff sicher gerne in Kauf nehmen. Und eines dürfte sicher sein: Ob privat oder im Archiv, entsprechende Belege über die Existenz und Person des 48. Jägerkens von Soest werden ganz sicher liebevoll für die Nachwelt erhalten und ordnungsgemäß aufbewahrt werden. Und wenn Tobias Westhoff sie in vielen Jahren noch einmal zur Hand nimmt, wird er hoffentlich lächeln und denken „Stimmt, eines meiner glücklichsten Jahre hatte ich als Jägerken von Soest“.
Pressekontakt: Kristina Reinke
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