Pressemeldung der Stadt Bocholt

Bocholt, 25. April 2002

"Ewiger Kampf zwischen Liebe und Hass"

Dr. med. Flötotto referiert vor voll besetztem Ratssaal zum Thema "Borderline-Syndrom"/Gründung einer Selbsthilfegruppe

Bocholt (pd).

"Ein ewiger Kampf zwischen Liebe und Hass." So beschrieb Dr. med. Burkhard Flötotto jene extremen Gemütsschwankungen, die Patienten durchleben, die am sogenannten Borderline-Syndrom leiden. Der Bocholter Facharzt für Psychiatrie referierte am vergangenen Mittwoch unter dem Titel "Das Krankheitsbild der Borderline-Persönlichkeitsstörung" vor über 103 ehrenamtlichen und beruflichen Betreuern sowie zahlreichen betroffenen Bürgern und Mitarbeitern von Einrichtungen. Diese waren der Einladung der Betreuungsvereine des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF), der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Betreuungsbehörde beim Fachbereich Soziales der Stadtverwaltung Bocholt zu einer Fortbildungsveranstaltung in den Ratssaal des neuen Rathauses gefolgt.

Die Borderline-Sydrom zählt in der Medizin zu den schwierigsten psychosomatischen Krankheitsbildern. Hass und Liebe, so Flötotto, seien "zwei feindliche Geschwister". Sie kämen beide aus der Familie der Gefühle und würden das Individuum von Geburt an begleiten. Die Menschwerdung bestehe daher laut Flötotto eigentlich ein Leben lang darin, die Spannung von Hass und Liebe in sich selbst wahrzunehmen, zu verstehen und konsequent danach zu handeln. Alle Menschen hätten, mehr oder weniger, Probleme, dieses emotionale Gegensatzpärchen auszuhalten. Die Besonderheit beim Borderline-Patient: Er hält diese ständige Spannung überhaupt nicht aus. Bei ihm bekämpfen sich nach den Worten des Referenten Liebe und Hass wie Feuer und Wasser und schließen sich gegenseitig aus. Borderline–Menschen täten sich unendlich schwer mit Abgrenzungen nach innen und außen. Damit würden Grundfragen berührt: Wieviel Nähe und Distanz braucht ein Mensch und wieviel kann er ertragen ?

Die Ursache der Borderline-Störung liegt nach den Ausführungen Flötottos im "zutiefst menschlichen Geheimnis" der Grenze (engl. borderline) zwischen gesund und krank, vertraut und fremd, unabhängig und abhängig, Sinnerfüllung und tödlicher Langeweile. Um diese Spannungsbögen auszuhalten, bedürfe es geschützter Entwicklungsbedingungen. "Sie als Betreuer von Borderline-Betroffenen sind in ihrer Arbeit immer wieder mit diesen Problemen konfrontiert. Das macht die Arbeit mit ihnen so spannend, aber auch anstrengend", so Flötotto. Ziel solle es sein, eine Grundlage zur Verständigung zu finden. Nach rein klinischer Definition äußerten sich die typischen Merkmale der Krankheit u. a. in plötzlichen und heftigen Gefühlsreaktionen, gekennzeichnet durch Angst, Verzweiflung oder Zorn, instabile aber intensive Beziehungen und ein brüchiges, instabiles Selbstbild. Ein weiteres Symptom kann impulsives selbstschädigendes Verhalten sein, wie z.B. Suchtmißbrauch und Fressanfälle, Selbstmordgefährung und Selbstverletzungen, ein chronisches Gefühl von Leere sowie paranoide (= geistesgestörte) Vorstellungen.

Die Wurzeln der Erkrankung liegen nach Aussage des Bocholter Psychiaters in der Kindheit eines Menschen. Alle Entwicklungstheorien über die Ursachen der Borderline-Erkrankung konzentrierten sich besonders auf die empfindlichen Beziehungen zwischen Kind und Bezugspersonen während der ersten Lebensjahre. Auf der einen Seite widersetzten sich manche Eltern den Versuchen des Kindes, sich zu lösen, sehr stark und bestünden stattdessen auf eine kontrollierte, oft "erstickende Symbiose". Auf der anderen Seite gäbe es Eltern oder Bezugspersonen, welche sich über längere Zeiträume nicht um ihre Kinder kümmerten oder überhaupt nicht da seien, so dass den Gefühlen des Kindes nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet würde. Beide Extreme elterlichen Verhaltens könnten dazu führen, dass Kinder kein positives, stabiles Ich-Gefühl aufbauen. Stattdessen entwickle sich unter Umständen ein ständiges, intensives Bedürfnis nach Bindung und die chronische Angst, verlassen zu werden.

Auch die Beziehungen zwischen Patient und Therapeut gestalteten sich mitunter schwierig. Ein Weg könne es laut Flötotto sein, in festgelegten Trainingseinheiten innere Achtsamkeit, die Einübung zwischenmenschlicher Fähigkeiten, den bewussten Umgang mit Gefühlen zu erlernen und auch die Stresstoleranz des Patienten zu stärken.

Unter der Diskussionsleitung der Diplom-Sozialarbeiterin Evegret Kindermann vom SKF berichtete nach dem Vortrag ein Betroffener, dass sich inzwischen in Bocholt eine Borderline-Selbsthilfegruppe gegründet habe, welche sich einmal wöchentlich trifft. Interessenten können unter Tel.: 0175 – 53 70 817 Kontakt aufnehmen. Britta Diekjobst vom AWO-Betreuungsverein teilte ferner mit, dass künftig eine neue Gruppe für ehrenamtliche Betreuer und Betreuerinnen aufgebaut werde (Tel.: 02871 – 17 969).

Diese und viele weitere aktuelle Informationen finden im Bocholter Internetportal unter www.bocholt.de - surfen Sie einfach mal vorbei!


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