Bocholt, 15. Oktober 2002
Behinderte servieren Schnitzel
Ehrenamtliche Betreuer auf Studienfahrt in Doetinchem / Wohnen und Arbeit zentrale Handlungsfelder
Bocholt (pd).
Einen Einblick in das niederländische Betreuungsrecht und Krankenversicherungswesen gewannen 20 Teilnehmer einer Studienfahrt nach Doetinchem. Im Rahmen der Aus- und Fortbildung ehrenamtlicher Betreuer/innen hatten die Betreuungsvereine des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) sowie die Betreuungsbehörde beim Fachbereich Soziales der Stadtverwaltung Bocholt zu einem grenzüberschreitenden Gedankenaustausch eingeladen.
Die Einrichtung "Stichting Festog Caridas" betreut geistig und körperlich behinderte Menschen aller Altersgruppierungen und ist für die gesamte Region Gelderland zuständig. "Kernthema der Arbeit von Festog ist der Klient selbst. Um ihn und vor allen Dingen um seine maximale Weiterentwicklung geht es", sagte Direktor Hans Silvis im Verlaufe seines in deutsch gehaltenen Vortrages. Dieses Bemühen werde zum einen dokumentiert durch den Bereich des Wohnens und hier vor allen Dingen den des betreuten Wohnens - in eigener Wohnung als Einzelperson bzw. Gruppe oder Wohngemeinschaft. Die Ausstattung der Tagesstätten und Wohnungseinrichtungen zeigten, dass der Stellenwert des behinderten Menschen in den Niederlanden sehr groß ist.
Neben der Unterbringung ist die zentrale Stellung der Arbeit für die Behinderten in Werkstätten und Firmen, welche am Markt tätig sind, kennzeichnend. Die deutsche Delegation besichtigte z. B. Kopier – und Geschenkeshops, die von Behinderten geführt werden, "was erkennbar zu einem gestärkten Selbstvertrauen der behinderten Menschen führt", so Bernhard Kerhoff von der städtischen Betreuungsstelle.
Im Dienstleistungsbereich konnten sich die Bocholter selbst ein Bild vor Ort machen: Auf Einladung der "Stichting Festog" speisten die Gäste im Restaurant Borghuis, welches mitten in der Fußgängerzone von Doetinchem liegt. Bemerkenswert ist, dass das Lokal von einem Team von Behinderten und Nichtbehinderten gemeinsam geführt wird, wobei der Anteil der Behinderten am Personal 75 % beträgt. Mit großem Arbeitseifer servierten Menschen u.a. mit Down-Syndrom die Speisen und Getränke. Nahezu völlig selbstständig wird der Servicebereich geleistet.
Ein Schwerpunkt des Tages war das Studium des niederländischen Betreuungsrechts. In den Niederlanden gibt es drei verschiedene Rechtsschutzformen für kranke Menschen. "Wir unterscheiden zwischen einer Mentorschaft (Betreuung und Pflege), einer Konkursverwaltung (nur finanzieller Bereich) sowie einer Vormundschaft (Finanzen und Gesundheit)", referierte Kirsten Seesink vom Sozial-Pädagogischen Dienst Ost-Gelderland. Im Gegensatz zum deutschen Recht verliert der unter Vormundschaft stehende niederländische Bürger seine Handlungsfähigkeit, d.h., dass z.B. Rechtsgeschäfte nur mit Genehmigung des Vormundes möglich sind. "Das deutsche Recht sieht dies nur als Ausnahme vor und scheint daher liberaler zu sein, wenn auch das niederländische Recht der Dreiteilung durchaus im Interesse des Menschen ist bezüglich der Abstufung der Hilfe", vergleicht Bernhard Kerkhoff von der städtischen Betreuungsstelle.
Unterschiede gibt es auch bei der Krankenversicherung. Die "AWBZ" besteht als Volksversicherung für alle Niederländer und steuert sowohl das System der Krankenversicherung als auch die Hilfeleistung für Behinderte in Einrichtungen. Das System beruht auf einer Budgetierung mit sogenannten "Fallpauschalen". Die Beiträge in den Niederlanden betragen derzeit 10,25 % vom Bruttoverdienst. Für besondere Behandlungswünsche hat der Bürger Zuschläge zu zahlen, bei kostenintensiven Risiken besteht aber ein Solidaritätsausgleich.
Der Gegenbesuch der Niederländer soll im Jahr 2003 in Bocholt stattfinden.
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Die Teilnehmer bekamen Eichsichten ins niederl. Betreuungssystem.