Städte nicht ins Bergfreie fallen lassen

08.06.2004 | Herten

Gemeinsames Positionspapier der Bürgermeister von Gelsenkirchen, Dorsten und Herten

Mit der aktuell angekündigten Schließung des Verbund-Bergwerks Lippe werden insgesamt 10.000 Arbeitsplätze in der Region binnen fünf Jahren vernichtet. Die Region Emscher-Lippe befindet sich noch mitten im Strukturwandel und entwickelt zur Zeit erst noch Industrie- und Zechenbrachen, um Voraussetzungen für künftige Investoren und damit Arbeitsplätze zu schaffen.

Angesichts der ohnehin hohen Arbeitslosigkeit und der Finanznot der Städte der Region setzt die Schließung des Verbundwerks die dramatische Entwicklung fort, der die Städte mit eigenen Maßnahmen nicht entgegensteuern können. Die Städte Gelsenkirchen, Dorsten und Herten haben die Lage analysiert und fordern die RAG als weltweit operierenden Konzern ebenso wie Land, Bund und EU auf, den begonnenen Strukturwandel durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen und zum Erfolg zu führen. Ohne diese Unterstützung werden die Städte und damit eine ganze Region ins Bergfreie fallen.

I. Ausgangsposition der Städte Gelsenkirchen, Dorsten und Herten

In allen drei Kommunen ist die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch:

1. Aktuelle Arbeitslosenquoten:

Stadt Gelsenkirchen 17,9 %*
Stadt Dorsten 11,1 %*
Stadt Herten 13,4 %*

*Quote bezieht sich auf alle abhängigen Erwerbspersonen

Die Zahl der Arbeitslosen hat sich in den betroffenen Kommunen seit 1993 bis heute fast verdoppelt:

Kommune 1993 - 2004
Gelsenkirchen 15.464 - 22.194
Dorsten 3.170 - 4.326
Herten 3.187 - 3.991
Gesamt 21.821 - 30.511

2. Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze

Die Zahl der (sozialversicherungspflichtigen) Arbeitsplätze ist im gleichen Zeitraum in den drei Städten um mehr als 28.000 zurückgegangen. Das bedeutet, dass in dieser Zeit jeder fünfte Arbeitsplatz dauerhaft weggebrochen ist.

Kommune 1993 - 2002
Gelsenkirchen 93.686 - 74.972
Dorsten 18.354 - 14.742
Herten 19.204 - 13.298
Gesamt 131.244 - 103.012

Das neue Arbeitsplätze in dieser Zeit geschaffen wurden, hat - trotz rückläufiger Bevölkerungszahlen - das aktuelle Problem der Ar-beitslosigkeit innerhalb der Region nicht gemindert: Unterm Strich verbleibt ein Minus von 28.000 Arbeitsplätzen, für die bisher kein Ersatz geschaffen werden konnte!

3. Beschäftigung und Ausbildung auf dem Bergwerk Lippe

Aktuell beschäftigt das Bergwerk Lippe nach Angaben der DSK 2.900 Mitarbeiter. Mit der Schließung zum 1.1.2010 fallen deren Arbeitsplätze komplett weg.

Auch der Ausbildungsbereich (z.Z. noch mehr als 70 Plätze, bis zur Schließung jährlich 40) wird durch die Bergwerksschließung spürbar und nachhaltig getroffen. Zu besten Zeiten hat das Bergwerk um die 500 Ausbildungsplätze bereitgestellt, quer durch die unterschiedlichsten Ausbildungen über und unter Tage. Alleine die Lehrwerkstatt umfasste 150 Plätze. Im April 2001 wurden hier noch 102 Lehrlinge ausgebildet.

4. Resümee

Die Region befindet sich mitten im Strukturwandel. Trotz aller wirtschaftspolitischen Anstrengungen (z.B. Flächenentwicklungen, För-derung von Existenzgründungen, Ansiedlung neuer Betriebe...) ist nicht abzusehen, wie die vernichteten Arbeitsplätze durch neue ersetzt werden könnten. Hinzu kommt, dass das gesamtwirtschaftliche Wachstum z.Z. nicht ausreichend ist, um die dringend benötigten Investitionen, Neuansiedlung von Unternehmen und die damit verbundene Beschäftigung zu generieren.


II. Forderungen der drei Städte als Standortgemeinden des Bergwerks Lippe

II.1. Forderungen an die RAG und ihre Gesellschaften/ Töchter

1. Stichwort: Flächenreaktivierung ohne Abstriche und Bedingungen
Bei eine Reaktivierung der vom Bergbau vorgehaltenen Betriebsflächen ist eine andere Politik der RAG nötig. Die Flächen müssen ohne Bergschadensverzicht und Altlasten bereitgestellt werden. Gemeinsam mit den Kommunen wird zu prüfen sein, welche Flächen(-teile) für welche Zwecke zur Verfügung gestellt werden (Gewerbe, Industrie, Wohnbebauung, Freizeit und Erholung). Die Neunutzung der Flächen kann sich nicht allein an den Interessen der RAG orientieren. Nicht akzeptabel ist es, wenn Flächen auf lange Zeit brach fallen. Daher ist zu fordern, dass Projektentwicklungen auf ehemaligen Zechenflächen auch dann zeitnah durchgeführt und finanziell unterstützt werden, wenn nicht von vornherein eine Wirtschaftlichkeit absehbar ist.

2. Stichwort: Vorrangige Ansiedlung von RAG-Tochterbetrieben auf Bergbauflächen
Die RAG als Muttergesellschaft der DSK richtet ihre Investitionsentscheidungen allein am Markt aus. Regionalwirtschaftliche Aspekte scheinen keine Rolle zu spielen. Gleichzeitig werden Landessubventionen seitens der DSK auf unabsehbare Zeit in Anspruch genommen. Daher ist zu fordern, dass konkrete Betriebsansiedlungen des RAG -Mutterkonzerns und ihrer Töchter in dieser Region und vorzugsweise auf Bergbauflächen durchgeführt werden. Dies ist gegebenenfalls an die Zahlung der Landessubventionen zu koppeln.


II.2 Forderungen an das Land NW/ Bund EU

3. Stichwort: Finanznot der Städte
Die finanzielle Ausstattung der Kommunen ist völlig unzureichend, das Notwendige im Bereich der Wirtschafts-, Bestands- und Ansiedlungsförderung kann nicht durchgeführt werden. Hier soll nicht wieder nach einem Sondertopf Emscher-Lippe gerufen werden. Es ist aber unverzichtbar, den fi-nanziellen Spielraum der Städte in der Emscher-Lippe-Region nachhaltig zu verbessern. In dieser Frage ist das Land gefordert.

4. Stichwort: Aufbau West
Die einzelbetriebliche Förderung von Unternehmensansiedlungen durch das Land ist drastisch zurückgefahren worden und schließt inzwischen ganze Branchen und Betriebsgrößen von einer Förderung generell aus. Dies kann nicht akzeptiert werden. Es müssen wieder konkrete Förderungsmöglichkeiten für Betriebansiedlungen geschaffen werden. ("Wiederaufbau West").

5. Stichwort: Aufwertung durch Ansiedlung
Die Ansiedlung der Fachhochschule Gelsenkirchen/Recklinghausen war ein wichtiges strukturpolitisches Signal für den Aufbruch der Region. Sie reicht allein aber nicht aus. Bedeutsam ist die Ansiedlung von arbeitsplatzschaffenden, wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen ( z. B. Fraunhofer-Institute, wirtschaftsnahe An-Institute von Universitäten). Entsprechende Einrichtungen sollten an den Kompetenzfeldern der Region (Chemie, Energie, Gesundheitswirtschaft) orientiert sein.

6. Stichwort: Ansiedlung von Behörden
Bei der Ansiedlung von beschäftigungswirksamen Landes- und Bundesbehörden bzw. überörtlichen Einrichtungen der Kulturpflege (Landesmuseen) ist die Emscher-Lippe Region gegenüber anderen strukturschwachen Regionen immer noch benachteiligt. Die Ansiedlung des Landesbetriebs Straßen NRW in Gelsenkirchen war ein Schritt in die richtige Richtung, dem jedoch weitere folgen müssen.

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