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Münster, 02.07.2004

In Münster auf St. Lamberti arbeitet der dienstälteste Türmer Europas
298 Stufen führen zum Arbeitsplatz von Wolfram Schulze

Münster (SMS) St. Lamberti inmitten der Altstadt beherbergt das "höchste" Dienstzimmer Münsters, die Türmerstube. Seit 1994 ist sie Arbeitsplatz von Wolfram Schulze, dem derzeit dienstältesten Türmer Europas. Mit seinem Horn gehört er zu den touristischen Attraktionen Münsters. Und manchmal tritt er sogar noch in die ursprüngliche Funktion des Türmers als Brandwache. Seit dem Dienstantritt am 1. Juli 1994 war er viermal schneller als die modernen Feuermelder und entdeckte Brände vor der Feuerwehr.

Seit 1950 hat Münster wieder durchgängig einen Türmer in seinen Diensten - und ist damit neben Krakau und Nördlingen eine von drei Städten in ganz Europa, die noch regelmäßig "türmern" lässt. Aufgabe des Türmers war es ursprünglich, als Wächter Brände und feindliche Truppen zu melden, womit er eine lebenswichtige Funktion für die Stadt wahrnahm. Kein Wunder, dass der Stadtrat 1777 erklärte: "Die ganze Wohlfahrt der Stadt hängt vom Türmer ab".

Dienstbeginn ist um 20.30 Uhr

Als Zugabe zur Wache gibt es auch Musik: Das Türmerhorn aus Kupfer und Messing ist nachts von 21 bis 24 Uhr halbstündlich zu hören (außer dienstags), wenn Schulze die Zeit Richtung Süden zum Rathaus hin und Richtung Norden ins Kiepenkerl-Viertel hinein angibt. Ursprünglich diente das Signal der Kontrolle, es sollte die Präsenz und "Wachheit" des Türmers anzeigen und sicherstellen. Heute ist es eine beliebte touristische Attraktion, und deshalb ist der Türmer jetzt auch Mitarbeiter von Münster Marketing.

Der Dienstbeginn um 20.30 Uhr ist mit einem langen Aufstieg verbunden: 298 Stufen sind es hinauf zur 75 Meter hohen Türmerstube auf der "Bürgerkirche" am Prinzipalmarkt. Der Aufstieg führt vorbei an den Täuferkäfigen und der Brandglocke, die heute nur noch zur Bürgermeisterwahl eingesetzt wird, bis hinauf in die kleine Türmerstube. Dort angekommen, meldet er als erstes der Feuerwehr, dass er nun auf seinem Posten ist.

Von der Balustrade bei der Türmerstube geht der Blick über die steilen Dächer der Altstadt, über die gewaltige Baumasse des Domes, über das Schloss und die zwei hohen Bettentürme des Uniklinikums hinweg bis weit hinaus ins Münsterland.

Schulze nimmt den "langen Dienstweg" gelassen. Er kann dem täglichen Auf- und Abstieg auch gute Seiten abgewinnen: Neben der sportlichen Fitness hilft der Aufstieg bei der Sammlung für den Job und stimmt auf die einsamen Stunden in der Türmerstube ein, die mit einem Sofa und einem Schreibtisch spartanisch eingerichtet ist.

Die Frage nach den Fähigkeiten, die man für einen Türmerjob mitbringen muss, hört Schulze oft. Bei der Bewerbung musste er neben bläserischen auch konzeptionelle Fähigkeiten zeigen und etwa Vorschläge zur touristischen Vermarktung des Türmers vorlegen.

Geblasen wird bei jedem Wetter

Im Alltagsgeschäft sind gute Gesundheit und Schwindelfreiheit unerlässlich. Denn geblasen wird bei jedem Wetter, auch bei Sturm und Regen. Außerdem sind die täglich zweimal 298 Stufen nicht jedermanns Sache. Aber auch der Umgang mit der Einsamkeit ist nicht zu unterschätzen. Hier helfen Wolfram Schulze die Klassiker aus Literatur und Philosophie über die einsamen Stunden zwischen den Kontroll- und Horngängen hinweg.

Schulze ist mit dem Herz bei seiner Arbeit. Er freut sich, wenn in der Zeitung anlässlich einer seiner Brandmeldungen von "unserem" Türmer die Rede ist und wenn ihm Münsteraner bestätigen, dass sie viel besser schlafen, wenn er über die Stadt wacht.

Münster-Marketing-Chefin Bernadette Spinnen: "Viele einschlägigen Berichte belegen, dass der Türmer ein wichtiger touristischer Werbebotschafter für Münster ist. Außerdem führt die Stadt mit diesem Amt eine gute Tradition fort: Die städtische Gemeinschaft beschäftigt einen Wächter für die Einwohner, dessen Arbeitsplatz sich auf der Bürgerkirche befindet."

Campingtoilette ersetzte den Nachttopf

Münsters Türmergeschichte ist lang. 1379 ist erstmals ein Türmer urkundlich erwähnt. Viele Geschichten berichten von Schulzes Vorgängern und Vorgängen in der Turmstube: etwa von dem Sofa, das "frei Haus" geliefert werden sollte und den Spediteuren einen Aufstieg bis in die Türmerstube bescherte, oder von ausgiebigen Feiern über den Zinnen der Stadt. Vorfälle, die Ermahnungen wie die des Stadtmagistrats von 1627 nach sich ziehen, "die Weiber vom Turm zu lassen und sich des Saufens zu enthalten...", sind aber endgültig Geschichte, versichert Schulze. Auch die oft gescholtene Entleerung der Nachttöpfe über die Zinnen ist spätestens seit dem Einbau einer Campingtoilette im Jahr 1980 kein Thema mehr.

Mittlerweile haben Türmer und auch die Türmerzünfte eine Renaissance erlebt. 1985 wurde die Deutsche Nachtwächter- und Türmerzunft, 1987 die europäische Nachtwächter- und Türmerzunft wiederbegründet. Aber "richtige" Türmer gibt es wie gesagt nur an drei Stellen in Europa ...

Stand Juli 2009

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