Hertener Alphabetisierungskurs gewinnt Preis

23.10.2008 | Herten

Seit vier Jahren lernen sie lesen und schreiben

Sie können sich im Wartezimmer nicht die Zeit mit Lektüre vertreiben, können keine Urlaubsgrüße senden und verstehen nicht, was das bunte Plakat ihnen sagen will: Sie können nicht lesen und nicht schreiben. Vier Hertener Analphabeten besuchen seit vier Jahren einen VHS-Kurs, um zu lernen, was für die meisten Menschen selbstverständlich ist. Doch mit Kursleiterin Marion Büchter büffeln sie nicht nur Silben und Buchstaben. Ihr Engagement geht darüber hinaus.

Nun haben sie dafür sogar einen Preis gewonnen. Die Mercator Stiftung hatte zusammen mit dem forum nrw e.V den Wettbewerb „Revier Version 2.0. – Meine Welt der Möglichkeiten“ ausgeschrieben. Kreative Ruhrgebietsköpfe sollten hier ihre Vorstellungen und Visionen zur Zukunft des Reviers einbringen. ‚Das ist genau das richtige für uns’, beschloss die Truppe. „Wir haben einen Kalender gebastelt. Das ist doch die beste Variante Wort und Bild zusammen zu bringen“, erklärt Marion Büchter.

Die Kursteilnehmer Bruno, Thorsten, Sabine und Tanja stürzten sich in die Arbeit. „Wir wollten Hertens Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeigen. Wir komme ja alle aus Herten“, erklärt Bruno. Bewaffnet mit der Kamera streifte das Team durch Herten und fotografierte seine ganz persönlichen Lieblingsplätze. „Wir haben alles selbstgemacht. Texte, Bilder und Unterzeilen“, erklären die Teilnehmer stolz. Der Preis: Eine Reise nach Berlin. Wahrscheinlich im Frühjahr nächsten Jahres.

Dieses Gemeinschaftswerk ist typisch für die kleine VHS-Gruppe. Die Vier, im Alter zwischen 30 und 45 Jahren, kannten sich schon vor dem Kurs. Schämen tun sie sich nicht, dass sie nicht richtig lesen und schreiben können – jedenfalls nicht mehr. Christina Zyprian von der VHS weiß: „Zum „Outing“ gehört eine Menge Mut! Darum haben wir kleine Gruppen, auch um jeden individuell zu fördern.“

Aber wie kann es sein, dass in unserem Bildungssystem immer noch Menschen durchs Raster rutschen? Bruno erinnert sich an seine Schulzeit: „Ich war auf einer Sonderschule, da wurde sich mehr um die Härtefälle gekümmert. Irgendwie schummelt man sich dann so durch.“ Dieses Verhalten kennt auch Christina Zyprian: „Analphabeten haben meist ein fantastisches Gedächtnis, da sie sich alles merken müssen.“

Am Arbeitsplatz machten sich die Kollegen oft über Bruno lustig. Doch die Zeiten sind vorbei: „Die finden das alle richtig gut, dass ich den Alphabetisierungskurs mache“, erzählt er. „Außerdem traue ich mich jetzt, meine Meinung zu sagen, und bin viel selbstbewusster geworden.“ Auch Sabine wird sich nun bald einen großen Wunsch erfüllen können: „Ich wollte immer schon einen richtigen Brief schreiben“, sagt sie schüchtern.

In Herten leben 2.000 bis 3.000 Analphabeten, schätzt Christina Zyprian. „Auch ein Grund für uns, die Menschen mit unserem Kalender für dieses Thema zu sensibilisieren. Und Menschen, denen es ähnlich geht, Mut zu machen, das Problem anzugehen“, erläutert Marion Büchter.

Mit modernen Unterrichtsmaterialien lernen die Erwachsenen ganz locker Lesen und Schreiben. Auch im Theater war die Gruppe schon. Bei einer Exkursion in die Stadtbücherei hatten die Glashausmitarbeiter ihnen sogar einen Tisch mit „leicht lesbarer“ Literatur zusammengestellt. Das Fazit der Gruppe: „Ein klasse Service!“

Pressekontakt: Pressestelle, Anne Schwierz, Telefon: 02366/303180, E-Mail: a.schwierz@herten.de



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