08. Juli 2010

"Wir sind Lotsen"

Interview mit den beiden Schulpsychologen im Viersener Kreishaus

Kreis Viersen

Wenn die Lehrer mit den Zeugnissen winken, sind Alexander Klinkner und Dr. Eric Ender gefragte Leute: Die beiden Schulpsychologen im Viersener Kreishaus beraten Schüler, Eltern und Lehrer, wenn es nicht so rund läuft. Die Psychologen, beide 38, sind die Ansprechpartner für alle knapp 100 Schulen im Kreis Viersen – das sind rund 40.000 Schüler. Im Interview geben sie Einblicke in ihre Arbeit.

Frage: Was macht ein Schulpsychologe?
Klinkner: Wir beraten, machen aber keine Therapie. Unser Rat ist beispielsweise dann gefragt, wenn ein Kind sich nicht konzentrieren kann, Probleme mit Rechnen oder Schreiben hat, Angst vor der Schule hat oder ein Jugendlicher andauernd die Schule schwänzt.
Ender: Wir beraten aber auch, wenn die Lehrer und die Eltern mit ihren Kindern zu uns kommen und  Entscheidungshilfen suchen, auf welche weiterführende angemessene Schule das Kind kommen könnte. Nach umfassenden Untersuchungen können wir dann konkrete Orientierungshilfen an die Hand geben. 

Frage: Woher wissen Sie überhaupt, wenn ein Jugendlicher die Schule schwänzt?
Ender: Die Eltern rufen uns in ihrer Verzweiflung an. Oder der Klassenlehrer fragt uns um Rat. Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Wir werden nicht von uns aus aktiv, sondern auf Anfrage der Schule oder der Eltern. 

Frage: Wie können Sie sicher ermitteln, ob ein Kind Angst vor der Schule hat?
Klinkner: Dafür gibt es u.a. Fragebögen, die das Kind ausfüllt und anhand derer wir uns in der Diagnostik zunächst orientieren. Im anschließenden Gespräch mit dem Kind haben wir eine weitere Möglichkeit, weitere Symptome der Schulangst genauer zu untersuchen.

Frage: Gibt es Problemfälle im Grundschulbereich, die zugenommen haben oder Ihnen Sorgen machen?
Ender: Lese-Rechtschreib-Schwäche und Rechenschwäche sowie Verhaltensauffälligkeiten im sozialen und emotionalen Bereich sind die Schwerpunkte unserer Beratungspraxis. Es zeigt sich, dass der Beratungsbedarf aufgrund gewachsener Aufmerksamkeit für diese Problembereiche gestiegen ist.

Frage: Werden Sie häufig mit dem Vorurteil konfrontiert ‚Der muss zum Psychologen, also ist er verrückt‘?
Klinkner: Diese Befürchtung müssen wir in der Tat schon mal ausräumen. Bei den meisten ist aber die Akzeptanz vorhanden. Häufig begegnen wir auch Skepsis, ob unser Rat der Richtige ist. Die Umsetzung geht nicht von heute auf morgen, das dauert oft drei bis sechs Monate, vielleicht noch länger. Bis ein Kind verhaltensauffällig geworden ist, war es ja schließlich auch ein längerer Prozess. Da hilft kein Patentrezept von uns, sondern eine differenzierte Herangehensweise, die manchmal unbequem, langwierig und aufwändig für alle Beteiligten ist.
Ender: Für uns ist wichtig, dass jeder Ratsuchende beraten wird. Unsere Botschaft ist, dass unser Angebot unverbindlich und vertraulich ist. Wenn mich also ein Schüler um meine Einschätzung bittet, muss er nicht befürchten, dass er hinterher Ärger mit dem Lehrer oder seinen Eltern bekommt. Das geht zunächst nur ihn und mich was an.

Frage: Wie sieht’s überhaupt mit den Lehrern aus, beraten Sie die auch?
Klinkner: Das ist ein Aspekt, den wir uns in unserer neuen Ausrichtung als einen Schwerpunkt auf die Fahnen geschrieben haben. Wenn wir den Hebel bei den Kollegien ansetzen und die Lehrer entsprechend beraten und schulen, wird oft mehr bewirkt.
Ender: Auf den Punkt gebracht: Wenn man einem Lehrer hilft, hilft man auch ganz vielen Schülern. Leider ist es so, dass Phänomene wie Burn-out nicht vor dem Lehrerberuf halt machen. Der Lehrer rückt für uns also stärker in den Fokus.

Frage: Hat ein Schüler, der aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommt, weniger Chancen an einer höheren Schule als ein Pennäler aus gutem Hause?
Klinkner
: Das sollte nicht so sein. Wir verwenden viel Mühe darauf, hier ausgleichend zu wirken. Das intellektuelle Potenzial des Schülers hat nichts mit der Herkunft zu tun, soviel steht fest. Jeder hat seine Talente. Diese aufzuspüren, zu aktivieren und zu fördern ist ein wichtiger Teil unserer Tätigkeit.

Frage: Haben Sie oft mit pubertierenden Heranwachsenden zu tun?
Ender: Immer wieder. Pubertät ist ein schwieriger Prozess für beide Seiten. Denn auch die Eltern müssen lernen loszulassen. Die schützende Hand kann nicht mehr überall greifen. Wichtig sind in dieser Zeit Einfühlungsvermögen, Verständnis, viel Geduld und Gelassenheit. Dass die Eltern nicht gleich ausrasten. Jugendliche brauchen das Gefühl der Geborgenheit, um Selbstvertrauen zu entwickeln und ihre Stärken und Schwächen kennenzulernen.
Klinkner: Die Pubertät des eigenen Kindes ist für die Eltern ebenso wie für das Kind selbst ein neues Kapitel. Man sollte sich aber hüten, sämtliche Probleme mit der Pubertät zu begründen. Häufiger ist der Fall, dass diese Zeit von recht vielen Missverständnissen geprägt ist, die zu enormen Spannungen zwischen Eltern und Kindern führen. Gravierende Erziehungsprobleme sind häufig der Grund dafür.  

Frage: Ein Beispiel bitte!
Ender: Nun, wenn auf die Bedürfnisse und Wünsche des Jugendlichen nicht angemessen eingegangen wird und die Teenies keine Regeln kennenlernen und keine Grenzen gesetzt bekommen. Im Fall eines Regelverstoßes sollten angemessene Konsequenzen durchgesetzt werden. 

Frage: Was ist denn eine angemessene Konsequenz?
Klinkner: Kommt das Kind z.B. zweimal zu spät nach Hause, muss im Haushalt geholfen werden. Oder Rasen mähen, Auto waschen. Diese Maßnahmen sollten diskussionslos konsequent und unverzüglich durchgesetzt werden. Bevor jedoch bestraft wird, sollten Eltern mit Ihrem Kind den Grund für den Verstoß klären. Körperliche Bestrafung ist natürlich strikt abzulehnen.

Frage: Was machen Sie mit einer Jugendlichen, die Ihnen verrät, dass sie sich umbringen will?
Klinkner: Bei Selbstmordgedanken oder Äußerungen muss sofort gehandelt werden. Wir empfehlen dringend in einem solchen Fall die Ambulanz für Kinder – und Jugendpsychiatrie aufzusuchen, um die konkrete Gefährdung abschätzen zu lassen. Berichtet uns ein Jugendlicher direkt von seinen Suizidabsichten oder Gedanken, informieren wir umgehend die Eltern darüber und empfehlen, dringend Kontakt mit der Ambulanz aufzunehmen.
Ender: Wir sehen uns als Lotse und empfehlen unseren Rat- und Hilfesuchenden die unterschiedlichen Unterstützungssysteme wie Polizei, Ärzte, Drogenberatung etc. Nur zusammen können wir die Probleme lösen, wir sitzen in einem Boot.


Alexander Klinkner ist seit März 2010 als Schulpsychologe im Landesdienst beim Kreis Viersen. Der 38-Jährige ist in Leverkusen geboren, hat in Kerpen Abitur gemacht und in Gießen Psychologie studiert. Zuvor hat er zehn Jahre in der Wirtschaft als Coach und Unternehmensberater gearbeitet und sich dabei auf die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Diagnostik und Veränderungsmanagement spezialisiert.


Dr. Eric Ender hat in Viersen Abitur gemacht und in Duisburg und Bochum Psychologie studiert. Seine erste Stelle war an der orthopädischen Uni - Klinik in Bochum. Promoviert und doziert hat der 38-Jährige an der Universität Krakau. Ender war auch Berater am Psychologischen Institut (PIN) in Nettetal. Seit 2007 ist Viersener als Schulpsychologe beim Kreis Viersen beschäftigt.

Schulpsychologischer Dienst: Das Angebot ist eine gemeinsame Institution von Kreis und Land NRW. Neben Alexander Klinkner und Dr. Eric Ender gehört dazu im Kreis Viersen die Pädagogin Uta Kretzschmann, die auf Lese-Rechtschreib-Schwäche spezialisiert ist. In dieses Team wird in diesem Sommer noch eine Schulpsychologin stoßen.  

Der Kontakt zum Schulpsychologischen Dienst läuft in der Regel über die Klassenlehrer. In Krisensituationen wie Mobbing oder Schulverweigerung wird der Schulpsychologische Dienst auch sofort aktiv.
Kontakt und Info über Tel. 02162/391484.


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Schule

Die beiden Schulpsychologen Alexander Klinkner (l.) und Dr. Eric Ender im Park vor dem Viersener Kreishaus. Foto: Axel Küppers / Abdruck honorarfrei

Herausgeber:

Kreis Viersen - Der Landrat
Axel Küppers
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