Bilanz eines Zeitzeugen

"Die Wende ist ein Ergebnis jahrzehntelanger Spannung, die es in der DDR gegeben hat." Das sagte Dr. Ehrhart Neubert am Donnerstagabend im Forum des Viersener Kreishauses. Der Kreis Viersen hatte den Theologen und Bürgerrechtler aus Erfurt aus Anlass "20 Jahre Deutsche Einheit" eingeladen. Gut 100 Interessierte hörten sich die Bilanz eines Zeitzeugen an und diskutierten hinterher mit dem 70-Jährigen unter Moderation von Erich Schützendorf von der Kreisvolkshochschule Viersen.

"Viele vergessen oder verdrängen, welche Leistung mit der friedlichen Revolution verbunden war und welche Bedeutung sie für die Menschen und das ganze Land gehabt hat", sagte Landrat Peter Ottmann zur Begrüßung. Das "20-Jährige" sei ideal dazu geeignet, das historische Datum ins Bewusstsein zu rufen - auch tief im Westen der Republik. Ottmann: "Und wer kann das besser als ein Zeitzeuge wie Dr. Neubert, der die friedliche Revolution erlebt und die Prozesse vorangetrieben hat, die Deutschland so tiefgreifend verändert haben."

Besonnen, sachlich und teilweise heiter schilderte Neubert, wie sich der Widerstand aufgebaut hat, zunächst in den Kirchen. "Damals war die Kirche der einzige Raum, in dem man politisch frei reden konnte." Die Stecknadel konnte man im Forum fallen hören, als der Pfarrer die "Bilderbuch-Revolution" beschrieb und auf seine Tätigkeit in der Gauck-Behörde zu sprechen kam: "Unsere Kinder sollen sehr schnell wissen, wie eine solche Diktatur funktioniert." Auch auf die Rolle von Helmut Kohl oder Michael Gorbatschow ging Neubert ein: "Gorbatschow war nicht der Befreier, sondern Ausdruck der Krise des Kommunismus."

Erfreulich, dass sich auch viele junge Zuhörer im Forum eingefunden hatten, darunter eine ganze Klasse des Abendgymnasiums mit ihrer Lehrerin. Im Publikum saßen aber auch viele Vertreter aus Politik, Verwaltung und Hochschule Niederrhein.

Zur Person:
Der Thüringer Erhart Neubert stammt aus einer Pastorenfamilie und hat seit 1979 in oppositionellen Friedenskreisen der evangelischen Studentengemeinde mitgearbeitet. Von 1997 bis 2005 war Neubert Fachbereichsleiter der Abteilung Bildung und Forschung in der Gauck-Behörde. Von 1998 bis 2004 war er Vorstandsmitglied der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Literatur-Tipp:
Das Buch von Ehrhart Neubert "Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989/90" ist im Verlag Piper 2009 erschienen und kostet 24,90 Euro. Das 520 Seiten dicke Werk enthält auch zahlreiche Abbildungen über den Ablauf der friedlichen Revolution.