Pressemeldung der Stadt Bocholt

Bocholt, 09. November 1999

"Rettung ist dann möglich, wenn sich die Gutmeinenden gegen das Unrecht zusammenschließen"

Rolf Abrahamson trägt in der Gedenkveranstaltung zum 9.11.1938 vor

Bocholt (pd).

Bürgermeister Klaus Ehling begrüßte am heutigen Abend insgesamt rund 60 Gäste, die den Weg in den Saal des Historischen Rathauses gefunden hatten. Er wies in seiner Ansprache darauf hin, dass man nicht wirklich begreifen könne, wie so etwas vor 61 Jahren passieren konnte. "Wir müssen aber wissen, dass es nie wieder geschehen darf. Und dafür ist es wichtig, dass wir uns erinnern, dass wir uns bewußt machen, welche mörderischen Impulse damals gegen unsere jüdischen Mitbürger freigesetzt wurden." Er dankte mit dem Hinweis, dass ein Erinnern für die Zukunft wachgehalten werden müsse, den Menschen in Bocholt, die in verschiedenen Kreisen die Erinnerung wachhalten. Stellvertretend nannte er Josef Niebur, der u.a. durch sein Buch "Juden in Bocholt" die Basis für das Wachhalten der Erinnerung gelegt habe.

"Herr Ehling, Sie haben uns vor Augen gehalten wie wichtig dieser Tag ist", so Dr. Werner Loock, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, zur Ansprache Ehlings. "Sie haben es nicht leicht über ihr Leben zu reden", führt Look dann Rolf Abrahamson ein, der über sein Leben als Jude in den Tagen der Pogromnacht referierte. "Sie sind lange Jahre Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Recklinghausen/Herne/Bochum gewesen, und immer ein Befürworter des jüdisch-christlichen Dialogs," so Loock in seiner kurzen Vorstellung zu Abrahamson.

Dieser führte dann, nachdem ein Tonband einer Sendung mit Carmen Thomas (Hallo Ü-Wagen) aus dem Jahre 1978 abgespielt wurde und in der auch Abrahamson zu seinen Erfahrungen in der Nacht des 9.11.1938 mit bewegenden Worten erzählte, aus, dass Gott es, als er das Schilfmehr gespalten habe, einfacher gehabt habe, als er, wenn er über die Erlebnisse aus diesen Tagen erzählen wollte. Ein Rabbi habe aber zu ihm gesagt, "wenn Dich Freunde rufen, ist es für Dich eine Verpflichtung, dort hinzugehen," und er habe dann bei sich gedacht, in Bocholt hast Du viele Freunde, die mit dem Herzen dabei sind, den Juden das Leben ein wenig zu erleichtern, und deshalb sei er auch dem Ruf von Dr. Werner Loock gefolgt, zur Gedenkveranstaltung zu kommen und hier auch zu sprechen. Er dankte besonders Josef Niebur in einer sehr persönlichen Erklärung: "Wenn Sie vor 2000 Jahren gelebt hätten, mit Ihrem Charakter, hätte es keine Kriege gegeben und die Vokabel Verfolgung wäre nirgendwo aufgetaucht". Abrahamson führte dann weiter aus, dass die Juden den Gedenktag nicht benötigen würden, um immer wieder an die erschreckenden Geschehnisse erinnert zu werden. Für Juden vergehe kein Tag, wo sie nicht angesichts des Fehlens vieler Familienangehöriger, die in den Tagen zwischen 33 und 45 umkamen, an die Schrecken und Greueltaten der NS-Herrschaft erinnert würden. In wirklich ergreifenden Worten erzählte er die Geschehnisse aus der Nacht des 9.11.1938, die ihm und seiner Familie widerfuhren, das Anzünden des elterlichen Geschäfts, das Niederschlagen des Vaters, die Schutzhaft für die ganze Familie, aber auch die Hilfe, die ihnen durch "christliche Freunde" widerfuhr.

1000de von Juden erlebten das gleiche Schicksal, vielfach noch schlimmer und das alles geschah, so Abrahamson "im Namen des Volkes der Dichter und Denker, die im Schein der Flammen und dem Klagegeschrei der Juden zu Mördern und Henker wurden". Ein beträchtlicher Teil des deutschen Volkes sei leider blind geblieben. Was auf den 9.11.1938 dann folgte sei eine Kette ununterbrochener grausamer Verbrechen gewesen. Und heute gäbe es immer noch ewig Gestrige, die immer noch nicht gelernt hätten, heute werde schon wieder von Einzelnen von der Auschwitzlüge gesprochen, sogar Historiker würden den Mord an über 6 Millionen Juden verharmlosen. Dass es auch charakterstarke Menschen in der damaligen Zeit gegeben habe, zeigte er an einem Beispiel aus den Endkriegstagen in Berlin. Es sollte erneut ein Transport mit Juden von Berlin aus starten, dieser konnte aber gar nicht erst starten, da Christen vor diesem Transport demonstrierten und "danach ist von Berlin aus kein einziger Transport mit Juden mehr gestartet", so Abrahamson. "Eine Rettung ist dann möglich, wenn sich die Gutmeinenden gegen das Unrecht zusammenschließen", schloß Abrahamson seine Ausführungen.

Im nachfolgenden Gespräch mit Abrahamson wurde dieser gefragt, was er denn darüber denke, dass heute Abend so wenig Jugendliche da seien. "Die Lehrer haben es heute teilweise noch nicht begriffen", antwortete Abrahamson, "wie wichtig eine Aufbereitung der gesamten Geschichtsereignisse von damals ist". Er habe sich im Vorfeld der Veranstaltung gesagt, wenn nur drei Zuhörer kommen, wäre es schon ein Erfolg, dass aber dann so viele (gut 60 sehr interessierte Zuhörer) kommen, damit habe er nicht gerechnet.

"Man kann es nur erahnen", so schloß Dr. Werner Loock die Veranstaltung, "was sie erlebt haben, wir danken Ihnen, Herr Abrahamson, für Ihr Kommen".


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Klaus Ehling am 9.11.1999
Klaus Ehling begrüßte am 9.11.1999 die Anwesenden im Historischen Rathaus die zahlreich erschienen waren um den Worten von Rolf Abrahamson zu lauschen

Rolf Abrahamson 1
Rolf Abrahamson, lange Jahre Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Herne, Recklinghausen und Bochum und Überlebender der Greueltaten des NS-Regime referierte am 9.11.1999 zum Thema "Das Gedenken an den 9. November 1938 aus jüdischer Sicht"

Rolf Abrahamson 2
Rolf Abrahamson, lange Jahre Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Herne, Recklinghausen und Bochum und Überlebender der Greueltaten des NS-Regime referierte am 9.11.1999 zum Thema "Das Gedenken an den 9. November 1938 aus jüdischer Sicht"