Greven. Wenn Susanne Fischer über ihre Arbeit spricht, reden ihre Hände mit. Oft lächeln ihr Mund und ihre Augen. Ihr Blick lässt erahnen, dass sie viel gesehen und gehört hat. Susanne Fischer ist Sozialpädagogin in der Gleisbrücke in Greven.
Die Gleisbrücke ist eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme der Evangelischen Jugendhilfe Münsterland gGmbH. Bis zu zwölf junge Erwachsene unter 30 Jahren sind in der Gleisbrücke tätig. Es geht darum, ihnen den Weg in die Arbeit zu ebnen. Die Teilnehmer sind SGB-II-Empfänger und wurden vom Fallmanagement der GAB (Gemeinsam für Arbeit und Beschäftigung) in die Maßnahme vermittelt. GAB handelt im Auftrag des Amtes „STARK – Steinfurt-Arbeitsförderung-Kommunal“ des Kreises Steinfurt. Das Besondere an der Gleisbrücke ist, dass auch drei SGB-II-Bezieher über 50 Jahre in das Projekt integriert sind. Sie haben bereits langjährige Erfahrung in einem handwerklichen Beruf. So profitieren auf der einen Seite die jungen Erwachsenen von der Erfahrung der Älteren, und auf der anderen Seite finden diese wieder eine sinnvolle Beschäftigung.
Susanne Fischer arbeitet seit Beginn der Maßnahme im Oktober 2006 in der Gleisbrücke. Mit Erfolg. Die Maßnahme ist jetzt zum zweiten Mal verlängert worden. Und die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Martin Klein, pädagogischer Leiter der Evangelischen Jugendhilfe, berichtet stolz: „Im Jahr 2007 wurde in 38 Prozent der Fälle die Beschäftigungsfähigkeit wiederhergestellt.“ 30 Prozent seien das Ziel gewesen. Beschäftigungsfähigkeit – um sie geht es in der Gleisbrücke. Die Teilnehmer des Projektes gelten als noch nicht vermittlungsfähig in den ersten Arbeitsmarkt. Sie haben familiäre oder psychische Schwierigkeiten oder Sucht-Probleme, sind verschuldet oder straffällig geworden. Viele müssen sich an eine Tagesstruktur gewöhnen, lernen, morgens aufzustehen.
38 Prozent sind nach ihrer Zeit in der Gleisbrücke beschäftigungsfähig. Zahlen. Susanne Fischer kennt die Gesichter, die Geschichten. Einige der jungen Erwachsenen, die im Laufe der zwei Jahre für jeweils maximal sechs Monate in der Gleisbrücke waren, haben erst bei ihr angefangen zu reden. Über sich, über ihre Probleme. Eine junge Frau hat eines dieser Gesichter, die der Sozialpädagogin im Gedächtnis geblieben sind. „Sie war schon aus mehreren Maßnahmen herausgeflogen. Keiner wusste, warum sie sich so verhält“, erinnert sich Susanne Fischer. Auch sie selbst sei zunächst nicht an die Frau herangekommen. In Gesprächen am Schreibtisch schon gar nicht, „da machen die meisten dicht“. Beim wöchentlichen Kochen fangen manche der Teilnehmer an zu erzählen. Wie die junge Frau, die von ihrem Missbrauch erzählte.
„Man sieht nicht in den Menschen hinein“, sagt Susanne Fischer. Auch nicht in Evelin Rokstein, die zurzeit an der Maßnahme teilnimmt. Die 20-Jährige redet gerne und gut und sieht gepflegt aus. „Mit einem Hauptschulabschluss ist es schwer, eine Ausbildung zu finden“, sagt sie. Evelin Rokstein hat einige Jobs gemacht, war dann erwerbslos. In der Gleisbrücke habe sie wieder einen Tagesrhythmus kennen gelernt. Anfangs sei ihr das Aufstehen ganz schön schwer gefallen. Jeden Tag habe es auch nicht geklappt: „familiäre Probleme“. Die Fehlstunden hole sie aber nach. In der Gleisbrücke hat sie in der Werkstatt ausgeholfen. Dort zeigt Handwerksmeister Ulrich Sokoll den Teilnehmern, wie beispielsweise Möbel wieder aufbereitet werden. Diese verkaufen die jungen Erwachsenen in der Möbelbrücke.
Die gab es zu Beginn des Projektes noch nicht. Damals hatten Ulrich Sokoll und die Teilnehmer alle Hände voll damit zu tun, die ehemalige Lagerhalle mit einem Budget von 5000 Euro umzubauen. Da wurden zum Beispiel Wände gezogen, elektrische Leitungen verlegt und eine Küche eingebaut. „Wir haben alles selber gemacht außer das Anschließen der Schaltkästen“, erinnert sich der Handwerksmeister.
Viele Teilnehmer lernen erst in der Gleisbrücke Arbeit kennen. Einige sträuben sich am Anfang, andere ganz: neun Prozent brechen die Maßnahme ab. Arbeit ist für manche etwas Abstraktes. Sie kennen die Figuren in Vorabend-Serien im Fernsehen, die zwar reich sind, aber die der Zuschauer nie arbeiten sieht. Ein einfaches Leben. In der Wirklichkeit muss man lernen, morgens aufzustehen.
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Die Aufgabenverteilung
Der Kreis Steinfurt ist eine sogenannte „Optionskommune“. Konkret bedeutet dies, dass er sich um die Bezieher des Arbeitslosengeldes II und auch ihre Vermittlung in den Arbeitsmarkt kümmert. STARK (Steinfurt Arbeitsförderung kommunal), ein Amt, das zur Kreisverwaltung gehört, steuert die Prozesse. Die Bewilligung ist delegiert an die Städte und Gemeinden. Diese stellen die Ansprechpartner in den Rathäusern zur Verfügung. Die GAB (Gemeinsam für Arbeit und Beschäftigung) übernimmt als Fachdienst die Arbeitsvermittlung für die Hilfesuchenden in den 24 Städten und Gemeinden vor Ort. Auch das Fallmanagement wird – mit Ausnahme der Städte Rheine, Ibbenbüren und Emsdetten – von der GAB durchgeführt.