Bocholt, 18. März 2013
Kultur: "Nicht vergessen, nicht verdrängen, nicht verschweigen"
"Buch der Erinnerung - Juden in Bocholt 1937 - 1945" im Städt. Bühnenhaus vorgestellt
Bocholt (PID).
"...damit wir alle nicht vergessen, nicht verdrängen und nicht verschweigen...," betonte Bocholts Bürgermeister Peter Nebelo in seiner Rede anlässlich der Vorstellung des "Buches der Erinnerung - Juden in Bocholt von 1937 -1945" im Städt. Bühnenhaus die Motivation, aus der das Buch entstand.
Über 160 Gäste waren der Einladung gefolgt und hörten den beeindruckenden Ausführungen Hermann Oechterings, der für den sprachbehinderten Autor des Buches, Josef Niebur, die Entstehungsgeschichte und die kleinen und großen Probleme bei der Erstellung des über 500 Seiten starken Werkes vorstellte, zu. Ursprünglich war geplant, die Vorstellung im Ratssaal durchzuführen. Doch der das Interesse vieler Gäste war so groß, dass in das größere städt. Bühnenhaus ausgewichen werden musste. Der Andrang war groß, auch der Büchertisch war schnell leer geräumt, "ich habe sogar mein Exemplar in den Verkauf gegeben", so Museumsleiter Georg Ketteler. Über 60 Bücher wurden am Sonntag bereits verkauft.
Nach der musikalischen Einleitung durch Prisca Stürmpfel und Vivian Krause (Musikschule Bocholt-Isselburg-Rhede) mit dem Duo für zwei Violinen in e Moll von Max Reger, begrüßte Bürgermeister Peter Nebelo die Gäste. Auch Angehörige der aus Bocholt deportierten Juden waren zu Gast, darunter Benno Simoni, Großneffe des am 24.1.1942 aus Bocholt nach Riga deportierten Eheleute Regina und Salomon Seif sowie die Familien von Juan-Carlos und Gerardo Mera-Euler, Nachfahren der Eheleute Amalia und Leopold Markus. Amalia Markus ging einen Tag vor ihrer Deportation in Bocholt in den Freitod, ihr Mann Leopold wurde im März 1943 beim Ghetto Riga ermordet. Gerardo Mera-Euler betonte: "Die Geschichte ist und wird immer präsent sein, das Leben selbst wird nicht reichen, sie zu vergessen", so Mera-Euler, "es gibt keine Generation ohne Geschichte, und ohne Geschichte gibt es keine Evolution!"
E. Ruth Alfassa vom spanischen Zweig der Familie Mera-Euler brachte es auf den Punkt: "Niemals darf man vergessen, was unseren Familien geschehen ist."
Nebelo erinnerte daran, dass Josef Niebur bereits im Jahr 2006 die ersten 34 Biogramme der von Bocholt aus deportierten Juden vorgelegt habe und die Ausgabe seitdem in der Schalterhalle der Geschäftsstelle der heutigen Innungskrankenkasse im Haus des Handwerks auf dem Gelände der ehemaligen Bocholter Synagoge zu jedermanns Einsicht ausliege.
"Brutalität der Shoah vor Augen geführt"
Nebelo hatte die wesentlichen Texte des Buches schon vorab gelesen. "Liest man sich die Texte der Biogramme im Buch aber auch die begleitenden Informationen der Geschichte der Juden in Bocholt durch, wird einem die ganze Brutalität der Shoah, des von Deutschen verübten Völkermordes, vor Augen geführt", zeigte sich Nebelo ergriffen.
Im weiteren betonte Nebelo, dass die Erinnerungskultur solcher Menschen wie Josef Niebur bedürfe, die an die Last der Geschichte erinnerten, "damit wir alle nicht vergessen, nicht verdrängen und nicht verschweigen", so Nebelo, "sondern das Unrechtsgeschehen im Bewusstsein halten und aus der Kenntnis der Vergangenheit Verantwortun g für Gegenwart und Zukunft übernehmen."
Zu menschlichem Handeln ermutigt werden
Ein Exemplar des Buches, das ab sofort auch im Buchhandel, im Bocholter Stadtmuseum und im Bocholt Stadtarchiv zum Preis von 18 Eure erhältlich sein wird, wird zukünftig in der Schalterhalle der IKK offen ausliegen. Die Nachkommen der Bocholter Jüdinnen und Jüden in aller Welt erhalten das Buch zugesandt. "Es gehört aber auch in die Haushalte aller Bocholter, es gehört in die Schulen und sollte viele aufmerksame und einfühlsame Leserinnen und Leser finden", wünscht sich Nebelo, "besonders Jugendlichen will ich dieses Buch ans Herz legen. Sie sollten zu menschlichem Handeln ermutigt werden." Abschließend dankte Nebelo den beiden Autoren: "Sie, lieber Josef Niebur haben mit Unterstützung vieler und besonders auch mit der Hilfe von Hermann Oechtering dazu beigetragen, dass die Ermordeten nicht vergessen werden, sondern dass ihnen eine würdige und dauernde Erinnerung in unserer Stadtgemeinschaft Bocholt bewahrt bleibt."
"Ich bin Josefs Sprachrohr", begann Oechtering seinen Vortrag. Das Olympiaattentat 1972 sei der erste Aufhänger für Josef Niebur gewesen, sich mit der Geschichte der Bocholter Juden zu befassen. Seitdem recherchierte er in den Archiven in der ganzen Welt. "Ich wollte auf jeden Fall ein schriftliches Denkmal errichten", so Oechtering für Niebur. Gemeinsam mit Dr. Oppel und Manfred Dammeier organisiserte er 1983 (45. Jahrestag des Judenpogroms 1938) die Ausstellung "Juden in Bocholt". Prägend sei für Niebur auch der Besuch und die anschließende Freundschaft mit Kurt Nußbaum gewesen. 1988 erschien dann das erste Buch "Juden in Bocholt". Dammeier und der heutige Leiter des Stadtmuseums, Georg Ketteler, drängten Niebur - als das Buch Mitte 1989 ausverkauft war - danach, eine zweite Auflage zu erstellen.
"Dem Vergessen-lassen-wollen, dem Tod durch Erinnerungslosigkeit, setze ich das Buch der Erinnerung entgegen"
Es dauerte fast acht Jahre, bis mir klar wurde, wie diese Auflage aussehen könnte", las Oechtering weiter vor. Es wurden Biogramme, kleine Biografien! Für die 178 Biogramme mussten alle erreichbaren Informationen zusammengetragen werden. Insgesamt korrespondierte Josef Niebur mit mehr als 300 Stadtarchiven, Gedenkstätten, jüdischen Gemeinden in Deutschland, daneben vor allem in den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz, Tschechien, Israel, Argentinien, Chile, ja sogar mit Australien und weiteren Staaten. Viele Fotos habe er auch zeigen wollen, doch gab es aus dieser Zeit kaum fotografisches Material. So machte er sich dann auf die Suche nach Unterschriften als einem individuellen Zeichen und bekam Hilfe vom Amtsgerichtsdirektor Helmuth Schlüter, der ihm die Einsichtnahme in die verschiedenen Grundbuchakten ermöglichte. "So konnte ich viele Unterschriften finden", so Niebur.
Abschließend zitierte Niebur den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, "...die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen..." und wünschte seinem Buch viele wachsame und neugierige, vor allem aber jugendliche Leser.
Rüdiger Beimesche und Georg Ketteler trugen im Anschluss an die Ausführungen Josef Nieburs aus den Biogrammen von Leopold Markus und Anna Andorn geb. Löwenstein vor. Insbesondere das Biogramm von Andorn, in das Tagebucheinträge eingebaut worden waren, machte die schrecklichen Geschehnisse in der Zeit erschreckend deutlich.
Mit dem zweiten Satz aus dem Konzert für zwei Violinen von Johann Sebastian Bach schlossen Strümpfel und Krause die Buchvorstellung musikalisch. Beim anschließenden Empfang übergab Peter Nebelo Exemplare des Buches an die Familie Mera-Euler und Benno Simoni.
Die Rede Peter Nebelos und die Rede Josef Nieburs, vorgetragen von Hermann Oechtering, sind dieser Pressemeldung beigefügt.
Pressekontakt: Stadt Bocholt - Fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands, Büro des Bürgermeisters, Presse- und Informationsdienst, Bruno Wansing, Telefon +49 2871 953-571, E-Mail: bruno.wansing@mail.bocholt.de
Zu dieser Meldung können wir Ihnen folgende Medien anbieten:
Buch der Erinnerung - Rede Peter Nebelo
Buch der Erinnerung - Buchübergabe
Buch der Erinnerung - Rede Josef Niebur
Am 17.3.2013 wurde das "Buch der Erinnerung - Juden in Bocholt von 1937 - 1945" im städtischen Bühnenhaus vorgestellt - Dazu hielt Bocholts Bürgermeister Peter Nebelo diese Rede
Josef Niebur (im Stuhl) und Hermann Oechtering (3.v.r.) stellten am 17. März 2013 das "Buch der Erinnerung - Juden in Bocholt 1937 - 1945" im städt. Bühnenhaus vor - Bürgermeister Peter Nebelo (rechts) und Juan Carlos Mera-Euler (links), Gerardo Mera-Euler (2.v.l.), Luzmarina Mera-Euler und die kleine Sarah Junker stellten sich zum gemeinsamen Gruppenfoto - Foto: Bruno Wansing, Stadt Bocholt - bocholt.de
Am 17.3.2013 stellte Josef Niebur gemeinsam mit Hermann Oechtering sein "Buch der Erinnerung - Juden in Bocholt von 1937 - 1945" vor - Text der Rede von Josef Niebur, die Hermann Oechtering vortrug