Kreis Steinfurt/Rheine. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland, ist am Freitag, 10. Januar, 19 Uhr, auf Einladung der Europa-Union, Kreisverband Steinfurt, in der Ignatz-Bubis-Halle im Josef-Winckler-Zentrum in Rheine, Neuenkirchener Straße 22, zu Gast. Ab 19 Uhr spricht er zum Thema „Europa - in deutschem Interesse?“ Alle Interessierten sind zu dieser Veranstaltung eingeladen.
In einem Interview äußert sich Rainer Wieland zu zentralen europäischen Fragen, die derzeit diskutiert werden.
Wie wichtig ist Europa?
Wie wichtig Europa ist, wird uns insbesondere in diesem Jahr verdeutlicht, in dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährt. Die Erinnerung an diese schreckliche Tragödie zeigt uns, dass das vereinte und friedliche Europa, wie wir es heute kennen, keine Selbstverständlichkeit ist. Die Tatsache, dass Populisten von links und rechts europaweit im Aufwind sind, sollte uns angesichts dieser Geschichte zu aktivem Handeln für die Europäische Union anregen. Denn das europäische Friedensprojekt hilft uns, dass wir anderen mächtigen und aufstrebenden Staaten auf Augenhöhe begegnen können. Nur ein geeintes Europa kann eine starke Stimme in der Welt haben, sodass unsere europäischen Werte aufrechterhalten und unser Wohlstand gesichert werden können.
Wie profitiert Deutschland von Europa?
Deutschland ist ein exportorientiertes Land, der EU-Binnenmarkt und die damit verbundenen Exporte in andere EU-Länder sind von großem Vorteil für die Bundesrepublik. Gerade nach der Einführung des Euro sind die Exporte in die übrigen EU-Mitgliedstaaten nochmals deutlich angestiegen. Deutschland braucht Europa sowie Europa Deutschland braucht. Die europäische Wirtschaft kann daher nicht gestärkt werden, wenn Deutschland geschwächt wird. Gleichzeitig kann es Deutschland nicht gut gehen, wenn es Europa schlecht geht.
Die Euro-Krise ist eigentlich eine Schuldenkrise. Kann uns die geplante Banken-Union retten?
Die Bankenunion stellt einen ersten Schritt zur Stabilisierung des Finanzsektors dar. Mithilfe der Bankenunion sollen die Banken selbst – und nicht die Steuerzahler – für die Verluste haften. Das Parlament hat das Seine getan. Nun kommt es darauf an, dass die Bankenunion noch vor Ende der Europawahlen am 25. Mai 2014 verabschiedet wird.
Ferner können wir erste Anzeichen einer Erholung von der Schuldenkrise beobachten. So hat Irland bereits Mitte Dezember als erster Krisenstaat offiziell den Euro-Rettungsschirm verlassen. Spanien wird im Laufe des Monats folgen. Letzte Woche fiel die Rendite auf zehnjährige spanische Staatsanleihen auf 3,91%. Dies ist ein neuer positiver Tiefstand, wenn man bedenkt, dass vor eineinhalb Jahren die Rendite für dieselbe Laufzeit bei 7,5% lag. Für die Zukunft ist es wichtig, dass die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts konsequent eingehalten werden.
In Europa sorgt man sich um die sogenannte „Zuzugsarmut". Werden unsere Sozialsysteme durch den Zuzug der Menschen aus Osteuropa zu sehr belastet?
Wie bereits gesagt, profitiert Deutschland massiv vom EU-Binnenmarkt mit seinen Grundfreiheiten (Freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und Freiem Kapital- und Zahlungsverkehr). Diese Vorzüge des Binnenmarktes beruhen auf Gegenseitigkeit. Wenn Rumänien und Bulgarien alle nötigen Kriterien zur Aufnahme in den Schengen-Raum erfüllt haben, können wir ihnen den Beitritt wegen eines einzelnen möglicherweise problematischen Punktes nicht verwehren.
Ich weise zudem ausdrücklich darauf hin, dass nach geltendem EU-Recht „Sozialhilfetourismus“ ausgeschlossen ist. Denn Personen, die länger als drei Monate in einem anderen EU-Land leben wollen, müssen in Arbeit stehen oder nachweisen, dass sie ausreichende finanzielle Mittel haben und krankenversichert sind. Es gilt also, die EU-Regelungen vor Ort in Deutschland konsequent umzusetzen, wo Missbrauch oder gar Betrug festgestellt wird. Die Instrumente dafür sind vorhanden.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist keine stark angestiegene Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme festzustellen. Momentan leben rund 300.000 Rumänen und Bulgaren in Deutschland, von denen laut der Bundesagentur für Arbeit ca. 10% Hartz-IV-Gelder beziehen. Demnach entfallen lediglich 0,6% der Gesamtausgaben für Hartz-IV-Leistungen auf Arbeitslose aus diesen beiden Ländern.
Die Katastrophen vor der Insel Lampedusa schrecken uns immer wieder auf. Geht Europa an seinen Außengrenzen mit den Menschen zu hart um?
Die schrecklichen Unglücke vor Lampedusa dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben. Es darf nicht sein, dass weggeschaut wird, wenn Menschen hilflos im Meer ertrinken. Hier brauchen wir andere Regelungen. Um weitere Flüchtlingskatastrophen zu verhindern, sind eine differenziertere Wahrnehmung der Problematik sowie eine bessere Koordinierung von Nöten. Es gilt festzuhalten, dass die betroffenen EU-Mitgliedstaaten im Mittelmeerraum die Zuständigkeit und Kommandogewalt beim EU-Grenzschutz haben. Nichtsdestotrotz bedarf es natürlich einer Unterstützung aller EU-Staaten, die auch in umfassender Form bereits geleistet wird. Den wirtschaftlichen Problemen Afrikas kann jedoch nicht durch mehr Zuwanderung nach Europa begegnet werden. Vielmehr gilt es, die Hilfe für die Herkunftsländer der Flüchtlinge zu erhöhen und zugleich den Staaten die eigene Verantwortung für ihre Bevölkerung vor Augen zu führen. Anstatt die Staaten darin zu unterstützen, die Menschen im Land festzuhalten, sollten die Staaten darin bestärkt werden, ihren Bürgern freiheitliche Perspektiven zu bieten, damit die Menschen im Land bleiben wollen. Zudem müssen in Zukunft Schlepperbanden, die rücksichtslos Opfer in Kauf nehmen, besser bekämpft werden.