Münster (SMS) 1968 bis 1977 - wie hat Münster diese Zeit erlebt? Mit Jahren zwischen Aufbruch, Träumen, Utopien einerseits und Ernüchterung, Zukunftsängsten, Krisen andererseits. Das Stadtmuseum Münster blendet mit über 200 Fotografien erstmals auf jene Dekade zurück, in der sich die Generationen unversöhnlich gegenüberstehen und die Bundesrepublik mit dem "Deutschen Herbst" ihre größte Bewährungsprobe meistern muss. Am Sonntag, 14. Oktober, wird die Fotoausstellung "Die wilden Jahre" (16 Uhr) eröffnet.
Sie setzt zugleich den Schlusspunkt hinter einer überaus erfolgreichen Serie von Fotopräsentationen zur Geschichte Münsters seit 1940. "Mit den drei Vorläuferausstellungen haben wir 146 000 Besucherinnen und Besucher erreicht", bilanziert Museumsdirektorin Dr. Barbara Rommé zufrieden. "Einen ähnlich hohen Zuspruch erhoffen wir auch von dieser Schau. Sie nimmt Ereignisse in den Fokus, die viele nicht nur als Zeitgeschichte, sondern aus eigenem Erleben erinnern".
Diskutierfreudige Ära
Vielleicht als Demonstrant? Protest in den 1970er Jahren, wohin das Auge reicht. Es gehen nicht allein Studenten auf die Straße; es ist eine diskutierfreudige Ära, die alle Gesellschaftsschichten erfasst: Landwirte ziehen mit ihren Treckern massiv am Hindenburgplatz auf, Elterninitiativen sorgen mit lautstarken "Go Ins" bei Ratssitzungen für Schlagzeilen, der Paragraph 218 mobilisiert Frauen. Die Fotos richten den Spot auf frühe Hausbesetzungen - darunter Frauenstraße 24 und Fürstenberghaus - auf Busblockaden und auf Massenkundgebungen vor dem Rathaus beim offiziellen Empfang für Bundeskanzler Kiesinger.
Für diese Ausstellung sichteten Dr. Axel Schollmeier und Dr. Wibke Becker 15 000 Negative, um die zeittypischsten für ihre in elf Themen gegliederte Ausstellung auszuwählen. "Die Aufnahmen stammen aus Archiven, Fotosammlungen und private Alben", erläutert Axel Schollmeier. „Vor allem die Profi-Fotografen Willi Hänscheid, Rudolf Krause und Christoph Preker haben mit ihren Beständen gleichsam ein fotografisches Gedächtnis der Stadt geschaffen", so der stellvertretende Museumsleiter.
An ihnen lässt sich auch die "große Politik" dieser Zeit nachvollziehen. Sie zeigen Helmut Kohl und Willy Brandt bei Wahlkämpfen in der Domstadt oder die Visite von Gustav Heinemann im April 1970 bei den Panzergrenadieren in Handorf. Begleitet wurde der Bundespräsident und bekennende Pazifist - im Ersten Weltkrieg gut 50 Jahre zuvor in Münster zum Kanonier ausgebildet - von Verteidigungsminister Helmut Schmidt. Andere Fotos halten die Reaktionen der Münsteraner auf Terror und Gewalt der Roten Armee Fraktion (RAF) fest: Trauermärsche formieren sich für den ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.
Unterricht auf Schulfluren
Eigene Einheiten widmen die beiden Ausstellungsmacher dem Alltagsleben der Münsteraner mit Schule, Beruf und Freizeit. Geburtenstarke Jahrgänge sorgen in den 1970iger Jahren für Raumnot. Der provisorische Unterricht auf dem Schulflur bleibt kein Einzelfall. "In vielen Berufszweigen tritt der Computer seinen Siegeszug an, und Kopiergeräte erlösen Studenten vom zeitraubenden Abschreiben und Zusammenfassen", beschreibt Axel Schollmeier technischen Fortschritt. Carrera-Bahn und Bonanza-Fahrrad sind die Kult-Spielzeuge jener Zeit. Die Hollywood-Schaukel hält auf Münsters Terrassen Einzug, und jeden Sommer aufs Neue versuchen Behörden, dem freizügigen Treiben am KÜ Einhalt zu gebieten.
Im November 1968 feiert die Bevölkerung in Anwesenheit von Verkehrsminister Leber die Fertigstellung der "Hansalinie", eine erhebliche Verbesserung der Anbindung Münsters ans Autobahnnetz. Die Fotografien fünf Jahre später indes dokumentieren Grenzen wirtschaftlichen Wachstums: Das Stadtmuseum spiegelt Auswirkungen der Rezession im Zuge der Ölkrise von 1973. Auch in Münster war sie mit Anstieg der Arbeitslosigkeit und autofreien Sonntagen verbunden. Die einstige Aufbruchstimmung in der Bundesrepublik wich einem vielschichtigen Krisenbewusstsein.
"Die Mode indes war nie mehr zuvor oder danach so schrill, bunt und extravagant wie in jenen Jahren", so Wibke Becker vor entsprechenden Fotodokumenten in der Ausstellung. Hosenbeine wurde breiter, Röcke immer kürzer. Jeans und Parka entwickelten sich von einem Protestsymbol der Studentenbewegung zum wichtigsten Bestandteil jugendlicher Alltagsuniform. Die Historikerin: "Auch am Lambertibrunnen, dem Szene-Treffpunkt für Münsters Oberstufen, gehörten diese ehemals provokanten Kleidungsstücke bald zur vorherrschenden Mode".
Info: "Die wilden Jahre". Münster in Fotos 1968 bis 1977. Fotoausstellung 16. Oktober 2007 bis 27. April 2008 im Stadtmuseum Münster, Salzstraße 28; Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10 bis 18 Uhr, samstags/sonntags 11 bis 18 Uhr; Eintritt frei. Zur Ausstellung ist ein Bildband (16,80 Euro) erschienen.
Fotos:
Bundespräsident Gustav Heinemann stattet im April 1970 den Panzergrenadieren in Handorf einen Besuch ab. Begleitet wird er von Verteidigungsminister Helmut Schmidt.
Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
Erregten Studentenproteste 1968 noch Aufsehen, gehörten Demonstrationen im Verlauf der 1970er Jahren zum täglichen Erscheinungsbild in Münster.
Foto: Rudolf Krause, Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
Der Lambertibrunnen: Vor allem samstags nach Schulschluss Szene-Treffpunkt für Münsters Oberstufen. Foto: Andreas Janning, Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
Trendsetter in Sachen Straßencafé: Mit nur vier Tischen eröffnete Grotemeyer auf der Salzstraße im Juni 1970 das erste Straßencafé Münsters.
Foto: Rudolf Krause, Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
Immer mehr Männer griffen zum Kochlöffel, wenn auch nicht ganz freiwillig. "Student am Herd" hieß es im Oktober 1973 bei einem Kurs im Haus der Familie.
Foto: Rudolf Krause, Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
Freie Fahrt auf der "Hansalinie": Verkehrsminister Georg Leber gibt im November 1968 das letzte Teilstück der A 1 frei. Bei seinem Stopp an der Autobahn-Auffahrt Münster-Nord wird er von begeisterten Nienbergern empfangen.
Foto: Willi Hänscheid, Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
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